Trauer in Oggersheim Blumen, Kerzen und eine Kusshand: Abschied von Helmut Kohl
Ludwigshafen (dpa) — Wenn Steine sprechen könnten, hätte Helmut Kohls Haus vermutlich viele Geschichten zu erzählen. Am Tag seines Todes wäre es eine von überschaubarer Anteilnahme — zumindest, was die Menge der Blumen vor seinem Haus anbelangt.
Bis zum Samstagmittag wächst die Zahl der Sträuße langsam, die trauernde Bürger vor dem zweistöckigen Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim ablegen, zudem brennen einige rote Grablichter am Eingang, der von zwei Polizisten flankiert wird. Nicht nur die vielen Journalisten, die vor dem Haus warten, haben mehr erwartet. „Ich habe mir vorgestellt, dass der halbe Gehweg voller Blumensträuße liegt“, sagt eine 78-jährige Frau, die selber ein Gebinde abgelegt hat. „Wir müssten doch stolz sein, so einen Mann zu haben.“
Helmut Kohls Haus in der Marbacher Straße 11 hat schon viel mehr Trubel erlebt. In den 80er und 90er Jahren hatte der damalige Bundeskanzler viele Staatsgäste auf Deutschlandbesuch nach Oggersheim eingeladen. Michail Gorbatschow, George Bush Senior, Bill Clinton: Sie alle und noch viele andere hatte der Staatsmann aus der Pfalz in seine Heimat geholt, wo er sie mit einheimischen Spezialitäten verwöhnte und ihnen die Schönheit der Landschaft zeigte — und damit der Pfalz zu internationaler Aufmerksamkeit verhalf.
Clinton hatte sich sogar auf der Straße vor Kohls Haus in das Goldene Buch der Stadt eingetragen — angetan von den Klängen eines Saxofons, das eine Frau in der Menge der Schaulustigen gespielt hatte. Und als Kohl 1982 Kanzler geworden sei, da hätten die Menschen vor seinem Haus Spalier gestanden und applaudiert, erinnert sich die 78-Jährige Rentnerin am Samstag. Sie verehrt Kohl auch heute noch. „Er hat viel für Deutschland getan, für Europa, für die ganze Welt.“
Am Freitag ist Kohl im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein schwerer Sturz vor einigen Jahren und diverse Krankheiten hatten ihm schwer zugesetzt — er saß schon seit längerem im Rollstuhl, das Sprechen fiel ihm schwer. „Er ist erlöst“, sagt Matthäus Neumer nun über den Tod des Altkanzlers. Der 78-Jährige Neumer aus Rödersheim-Gronau im Rhein-Pfalz-Kreis war lange Jahre Kohls Saunafreund, er hatte den Altkanzler vor zwei Jahren zu dessen 85. Geburtstag besucht. Kohl habe damals mit der einen Hand die andere festhalten müssen, so sehr habe er gezittert, erinnert sich Neumer. „Die letzten Jahre waren ja nicht mehr lebenswert für ihn“, ergänzt er. „Er musste ja voll versorgt werden.“
Neumer hat aber auch einen anderen Kohl in Erinnerung, einen der wie er immer samstags in die Sauna im Hallenbad Nord ging. „Ich habe ihn immer bewundert“, sagt Neumer. Kohl habe eine „Riesenarbeit“ gemacht, sich aber immer auch für die kleinen Leute interessiert — und sich zum Beispiel regelmäßig nach einem verunglückten Nachbarsmädchen erkundigt. Die Saunabesuche scheinen Kohl wichtig gewesen zu sein. Einmal sei er morgens um halb sechs von einem Bundesparteitag in Trier heimgefahren, um halb neun in der Sauna zu sein. „Das hat er sich nicht nehmen lassen“, sagt Neumer.
Nach dem Saunabesuch wurde gegessen und getrunken, Kohl habe meistens Weinschorle gewählt. Eine Gruppe von acht bis zehn Leuten seien sie damals gewesen. Wenn Kohl einer nicht gepasst habe, habe er entsprechende Andeutungen gemacht — so als mal einer in seiner Abwesenheit schlecht über ihn gesprochen habe. „Hintenrum schimpfen, das wollte er nicht haben“, sagt Neumer. Man habe dann demjenigen bedeutet, dass er nicht mehr zu dem Tisch dazugehöre. Das alles ist lange her. Das Hallenbad Nord ist seit 2001 geschlossen.
Beim Warten vor Kohls Haus finden sich auch Menschen ein, die ihrer Trauer auf unerwartete Weise Ausdruck verleihen. Ein Mann, der sich als Dembo Krubally aus Landau vorstellt, hält laut vor dem Hauseingang ein muslimisches Gebet ab. Er habe miterlebt, wie Kohl es geschafft habe, Deutschland zu einen, sagt der Mann, der nach eigenen Angaben aus Gambia stammt und seit 30 Jahren in Deutschland lebt. „So ein Mensch fehlt uns.“ Später findet sich auch Eckhard Seeber ein, Kohls langjähriger Fahrer. Er verlässt das Haus nach einigen Minuten wortlos.
Der 86-jährige Günter Schöffler kommt auf seinem Elektrowägelchen vorbei, legt ein Gebinde ab und verneigt sich kurz vor dem Kohlschen Anwesen. Er hatte nach eigenen Angaben in der Nähe eine Bäckerei und Konditorei und hat die Kohls bei Staatsbesuchen oft beliefert. Als einmal ein Franzose gekommen sei, habe man eigens Eclairs gemacht. Und beim Clinton-Besuch habe es Törtchen mit der US-Flagge obenauf geben, erinnert sich der 86-Jährige, der nach eigenen Angaben mit Kohl einen guten Freund verloren hat. Andere wiederum kommen einfach vorbei. „So historische Momente muss man mitnehmen“, sagt eine 35-Jährige, die mit Mann und zwei Kindern gekommen ist. Eine Radfahrerin wirft dem Haus im Vorbeifahren eine Kusshand zu. „Tschüß Helmut“, sagt sie leise.
Trauer auch bei der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer, deren Kuratorium Kohl vorsaß. Sie setzt sich unter anderem für die Erforschung des Domes und seinen Erhalt ein. Kohls Tod sei ein enormer Verlust, sagt der Stiftungsvorsitzende Prof. Peter Frankenberg. „Er war einer der ganz wesentlichen Mitbegründer der Stiftung.“ Und ohne Kohls Arbeitseinsatz und Renommee hätte die Stiftung nie das Ansehen bekommen, das sie heute habe. Die Stiftung will Kohl mit einem Symposium würdigen, bei dem es auch um die christliche Dimension Europas gehen soll.
Ob die Trauerfeier für Kohl wie 2001 für seine Frau Hannelore im Speyerer Dom abgehalten wird, ist noch völlig unklar. Gewiss ist nur, dass der Dom für Kohl zeitlebens große Bedeutung hatte. Hier fand er als Schüler Schutz vor Bombenangriffen, hierhin brachte Kohl viele Staatsgäste. Er war nicht nur von der Architektur des salischen Kaiserdomes beeindruckt, in dem mehrere mittelalterliche Kaisergeschlechter begraben sind. Die gewaltige Kathedrale stehe für knapp 1000 Jahre deutscher und europäischer Vergangenheit und müsse im Interesse nachfolgender Generationen erhalten werden, hatte Kohl am 2. Juli 1999 in der Dom-Krypta gesagt.