Preisträger Colin Gonsalves Der Anwalt der Schwächsten

Stockholm/Neu Delhi (dpa) - Berge aus schwarzem, verrottetem Getreide. Gigantische Mengen, die niemand mehr essen kann. Fünf Kilometer weiter ein Dorf hungernder Menschen. Das eine Kind isst an einem Tag, das andere am nächsten.

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Um alle zugleich satt zu kriegen, ist nicht genug da.

So beschreibt Colin Gonsalves Indien vor etwas mehr als zehn Jahren. Die Regierung habe Millionen Tonnen Nahrungsmittel zu viel gebunkert, während in den unteren Bevölkerungsschichten Menschen vor Hunger gestorben seien. Gonsalves zog damals vor Gericht - und erstritt ein „Recht auf Nahrung“, das inzwischen in der Verfassung festgeschrieben ist. Hilfe für 400 Millionen Inder.

Der frühere Ingenieur ist der Anwalt der Schwächsten am Obersten Gericht Indiens. Mit seinem Netzwerk von Menschenrechtsanwälten gibt er den Verletzlichsten eine Stimme. Jetzt bekommt der 1952 geborene Aktivist dafür den Alternativen Nobelpreis.

„In einer Zeit, in der Indien, wie viele Länder, autoritärer wird, spielen Colin und sein Anwaltsnetzwerk eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Demokratie“, lobt der Direktor der Stockholmer Right-Livelihood-Stiftung, Ole von Uexkull. Die Stiftung vergibt ihre Preise in kritischer Distanz zu den traditionellen Nobelpreisen - an Menschen, die ohne große Lobby helfen.

Auch Gonsalves' Mandanten haben keine Lobby. Es sind moderne Sklaven, ethnische Minderheiten, Flüchtlinge, Slumbewohner, Frauen. Ohne ihn und sein Netzwerk, so beschrieb er in einem Interview, lebten sie alle außerhalb des Rechtssystems, könnten ihre Probleme vor kein Gericht tragen. „Die einzige Gelegenheit, zu der sie mit dem Rechtsstaat in Berührung kommen, ist, wenn sie als Angeklagte vor den Richter geschleift werden.“

In den Fällen geht es meist um Kinderarbeit, die Konfiszierung von Land, sexuelle Belästigung, den Missbrauch von Gefangenen, Menschenhandel. Colin Gonsalves ist an fast allen Fronten zu finden. „Wir machen eine sehr finstere Zeit durch“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. „Menschenrechte werden in großem Maßstab unterdrückt.“ Es gebe Gewalt gegen Frauen und gegen Minderheiten. Intoleranz steige, Selbstjustiz nehme Überhand.

Seit die hindu-nationalistische BJP von Premierminister Narendra Modi 2014 in Indien an die Macht kam, haben Übergriffe und Lynchmorde durch selbst ernannte Kuhbeschützer zugenommen. Radikale Hindus, denen die Tiere heilig sind, greifen Menschen an, die sie verdächtigen, Kühe geschlachtet oder gegessen zu haben. Die Opfer sind meist Muslime oder Dalits - die früher „Unberührbare“ genannten Angehörigen der untersten Schicht im Kastensystem.

Gonsalves hält sich mit Kritik an der Regierung nicht zurück. In der „größten Demokratie der Welt“ herrsche die Haltung, dass Menschenrechte verzichtbar seien. Wenn der Rest der Welt sich beschwere, spiele das keine Rolle, solange das Bruttoinlandsprodukt weiter steige, sagt er.

Derzeit vertritt Gonsalves 7000 Rohingya, die am Rand des Kaschmir-Tals leben. Die Regierung will sie abschieben. Die Begründung: Terrorgefahr. Als wahren Grund vermutet Gonsalves den muslimischen Glauben der in ihrer Heimat verfolgten Staatenlosen, die in den vergangenen Wochen zu Hunderttausenden erneut vor Gewalt geflohen sind.

„Die Auszeichnung kommt zu einer Zeit, in der Indien durch eine dunkle Zeit geht und Menschenrechtsaktivisten unter Druck gesetzt werden“, urteilt Gonsalves. Doch obwohl die Organisationen zuletzt etwa durch den Entzug der Erlaubnis ausländischer Finanzierung geschwächt worden seien, gäben sie nicht auf. „Der Kampf von David gegen Goliath wird weitergehen“, verspricht er.

Ähnliche Hoffnungen hegen andere Preisträger des Alternativen Nobelpreises 2017. Die investigative Journalistin Khadija Ismayilova aus Aserbaidschan beispielsweise, die den Preis für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit bei der Aufdeckung von Korruption auf höchster Regierungsebene erhält. Der Amerikaner Robert Bilott wird ausgezeichnet, weil er einen Skandal um chemisch verseuchtes Trinkwasser vor Gericht brachte, die Äthiopierin Yetnebersh Nigussie für ihren Einsatz für Menschen mit Behinderungen in Afrika.