Gutachter widersprechen sich Die Glyphosat-Rebellion in Argentinien

Buenos Aires (dpa) - „Pueblos fumigados“, besprühte Dörfer, nennen die Argentinier Orte, die von Sojafeldern umgeben sind. Auf einer Fläche von rund 19 Millionen Hektar wächst der Exportschlager des südamerikanischen Landes.

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Soja füttert den Fleischunger der Welt, vor allem zu Tierfutter wird es verarbeitet. Argentinien ist mit 53 Millionen Tonnen (2016/17) drittgrößter Sojaproduzent - und einer der größten Abnehmer des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat.

Nach einer monatelangen Debatte hat die EU-Kommission in Brüssel die Zulassung für den Unkrautvernichter am Montag um fünf Jahre bis 2022 verlängert. Eine Entscheidung, die auch in Argentinien mit Interesse wahrgenommen wird. Dort wächst seit Jahren der Widerstand gegen das Pestizid, noch mehr als in der EU. Mehr als 200 Millionen Liter Glyphosat versprühen argentinische Landwirte laut einer Untersuchung des Journalisten Darío Aranda jährlich und bringen so Schätzungen zufolge rund 12 Millionen Menschen mit dem Mittel in Kontakt.

Eine Gesundheitsgefahr? Gutachter weltweit widersprechen sich in der Bewertung der Chemikalie. Während die Europäische Lebensmittelagentur (EFSA) keinen Grund zur Sorge sieht, stuft die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Die argentinische Niederlassung des Herstellers Monsanto verteidigt sein Produkt.

Dort wird betont: „Es ist wichtig anzumerken, dass IARC nicht die wissenschaftlich fundierte Analyse, die seit Jahrzehnten von Regulierungsbehörden auf der ganzen Welt durchgeführt wurde, berücksichtigt und Daten selektiv interpretiert hat, um zu ihrer Bewertung von Glyphosat zu gelangen.“ Doch auf genau diese angeführten wissenschaftlichen Bewertungen ihres Produkts soll der Konzern laut Medienberichten versucht haben, Einfluss zu nehmen.

Zahlreiche argentinische Wissenschaftler beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Pflanzengifts auf seine Umgebung. Damián Verzeñassi, Mediziner und Professor an der Universität Rosario, 300 Kilometer nördlich von Buenos Aires, sieht die schädliche Wirkung des Mittels als erwiesen an.

Seit der Freigabe von Glyphosat in Argentinien 1996 habe das starke, unkontrollierte Besprühen von Sojafeldern mit Mitteln wie Glyphosat Atembeschwerden, Schildrüsenunterfunktionen, Missbildungen, Fehlgeburten und Krebs hervorgerufen. „Wir können nachweisen, dass sich die Todesursachen in den vergangenen 20 Jahren verändert haben“, sagte Verzeñassi der Deutschen Presse-Agentur.

Ein nationales Gesetz, das die Anwendung des Unkrauftvernichters regelt wäre notwendig, sagt María Marta Di Paola, zuständig für Umweltpolitik bei der Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen (FARN). In den Nachbarländern Brasilien und Uruguay müssen Landwirte Abstände zu Wohngebieten einhalten, wenn sie das Pestizid versprühen.

In Argentinien empfiehlt das Agrarministerium lediglich, 100 bis 200 Meter Abstand zu Wohnhäusern zu halten. Eine Richtlinie, die viele Provinzen des Landes durch eigene Gesetze ersetzt haben. Eine Lösung könnte Argentinien von der EU indirekt aufgezwungen werden.

„Ein Verbot des Wirkstoffes Glyphosat hätte womöglich auch Auswirkungen auf den Import von Lebensmitteln oder Rohstoffen aus Drittstaaten“, sagt die SPD-Abgeordnete im Europaparlament, Maria Noichl. Die EU ist ein wichtiges Exportziel für Sojaprodukte aus Argentinien. Sollten für Glyphosat neue Regeln festgelegt werden, müssten auch die Südamerikaner die Produktion ihrer Exporte anpassen.

„Wenn Glyphosat verboten werden soll, weil es eine begründete Gefahr für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger gibt, kann man erwarten, dass die Rückstandswerte auf ein sehr niedriges Level verringert werden. Falls Glyphosat aus administrativen Gründen verboten wird, weil beispielsweise die Zulassung ausläuft, könnten sie auf einem ähnlichen oder gleichen Niveau wie aktuell bleiben“, erklärt Noichl, die Mitglied Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im EU-Parlament ist.

Neue, niedrigere Rückstandswerte für den Exportschlager Soja könnten die argentinische Wirtschaft Milliarden kosten, warnt Pedro Vigneau, Präsident des einflussreichen Landwirtschaftsvereins „Aapresid“. Seinen jährlichen Kongress ließ sich der Verein in diesem Jahr unter anderem von dem Glyphosat-Konzern Monsanto sponsern.