Einer muss nachgeben: Im Bahn-Streik geht es ums Prinzip

Berlin (dpa) - Nun prasselt es von allen Seiten auf Claus Weselsky ein. Nach der Ankündigung eines mehr als viertägigen Streiks bei der Deutschen Bahn steht der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL am Pranger.

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Scharfe Kritik kommt von Regierungspolitikern, Wirtschaftsvertretern, dem Fahrgastverband Pro Bahn und sogar dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht es so: „Was derzeit passiert, ist ein Missbrauch des Streikrechts.“ Er fordert in der „Bild“-Zeitung einen Schlichter oder Vermittler in dem Tarifkonflikt, um Schaden von der gesamten Volkswirtschaft abzuwenden. Das schlug auch die Bahn am Mittwoch noch einmal vor, der GDL-Vorstand lehnte es wenige Stunden später ab. Begründung: Über Grundrechte könne man nicht verhandeln - auch nicht in einem Schlichtungsverfahren.

Und genau darum gehe es, sagte Weselsky. Die Bahn verletze in ihrem jüngsten Vertragsangebot Artikel 9 des Grundgesetzes, in dem die Bildung von Gewerkschaften für jeden Beruf garantiert wird. Die Bahn wolle vertraglich festlegen, dass die GDL bei einem Tarifkonflikt über die Zugbegleiter keine Verhandlungsmacht und auch kein Streikrecht mehr habe.

Gleichwohl wurde Weselsky am Mittwoch gefragt, ob der Preis nicht zu hoch sei, den die Bahn und ihre Kunden für die Ziele der GDL zahlen müssen. Zu ihrem wichtigsten Anliegen hat die 34 000 Mitglieder starke Gewerkschaft erklärt, nicht nur wie bisher für die Lokführer über Tarife verhandeln zu dürfen, sondern auch für alle anderen, die unmittelbar mit dem Bahnbetrieb zu tun haben. Dazu zählen rund 17 000 Mitarbeiter - Zugbegleiter, Bistro-Mitarbeiter, Lokrangierführer, Ausbilder und Disponenten (Planer).

Zuletzt hatte sich die GDL auf die etwa 8800 Zugbegleiter konzentriert. „Eigenständige Tarifverhandlungen“ will die Spartengewerkschaft für sie führen. Am Ende soll ein Tarifvertrag herauskommen, in dem andere Bestimmungen stehen als in der Vereinbarung, die die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit dem bundeseigenen Bahnkonzern abgeschlossen hat. Die GDL fordert kürzere Arbeitszeiten und eine Begrenzung der Überstunden.

In welchem Maß sich die Zugbegleiter an den bisherigen Streiks beteiligt haben, ist unklar. Nach GDL-Angaben sind 30 Prozent von ihnen Mitglied der Lokführergewerkschaft. Unabhängig von dieser Zahl erhebt Weselsky Anspruch auf ein Mandat für Tarifverhandlungen. Er verweist auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2010. Danach darf es in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander geben. Weselskys Schlagwort dafür ist „Tarifpluralität“.

Ein neues Gesetz, das Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in groben Zügen vor kurzem vorgestellt hat, soll dagegen die Tarifeinheit wiederherstellen. Ob das Gesetz dies vermag, ist aber umstritten - so weit ist es ohnehin noch nicht, denn die neuen Rechtsvorschriften dürften frühestens im Frühjahr 2015 wirksam werden.

Die Bahn richtet sich in der laufenden Auseinandersetzung mit der GDL nach einem anderen Grundsatz, der auch Leitlinie für das Gesetz ist. Ihrer Meinung nach soll das Mehrheitsprinzip gelten: Wer die meisten Mitglieder in einer Berufsgruppe oder einem Betrieb hat, hat auf Gewerkschaftsseite die Tarifverhandlungsmacht.

Dieser Linie blieb die Bahn auch am vergangenen Wochenende treu, bis die GDL die Gespräche erneut abbrach. Ein Entwurf für eine Vereinbarung über Spielregeln für Tarifrunden enthielt einige Vorkehrungen, um festgefahrene Verhandlungen zu retten. Am Ende sollte es aber so sein, dass die GDL für die Lokführer und die EVG für die Zugbegleiter das Sagen haben sollte. Für Weselsky war das unannehmbar.

Weselsky hofft nun auf ein Einlenken der Bahn. Auf die Frage, ob die GDL notfalls noch länger streiken würde, antwortete er: „Es ist bei weitem nicht der längste Streik, den die GDL durchgeführt hat.“ Bisher galt das aber nur für eine kleinere private Bahngesellschaft. Der GDL-Bezirksvorsitzende für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Frank Nachtigall, hält es „im Bereich des Möglichen, dass die nächste Aktion für eine noch längere Zeit angesetzt wird“, wie er „Berliner Zeitung“ sagte.