Analyse „Es zerreißt mein rotes Herz“: Ärger und Wut an SPD-Basis
Trier (dpa) - Viele Genossen sind gerade richtig sauer. Und zwar quer durch die Republik. Die Aussicht auf eine neue große Koalition schlägt den SPD-Mitgliedern auf die Stimmung - mitsamt der ganzen Vorgeschichte dazu.
Ob in Ost oder West: Bei Treffen vor dem entscheidenden Parteitag am Sonntag in Bonn wird in diesen Tagen heftig debattiert. Darüber, ob die rund 600 Delegierten nach der Sondierung mit CDU und CSU für den Einstieg in Verhandlungen über eine große Koalition stimmen soll. Und was alles passieren könnte, wenn nicht.
Beim Stammtisch der SPD Trier in Rheinland-Pfalz macht Gerd Botterweck seinem Ärger Luft. „Es ist unredlich, diese Sondierungsergebnisse als Erfolg zu verkaufen“, sagt der Genosse, seit fast 50 Jahren in der Partei. Er will nicht nur keine neue GroKo. „Meiner Meinung nach ist Martin Schulz als Parteivorsitzender nicht mehr tragbar.“ Er und auch Fraktionschefin Andreas Nahles sollten zurücktreten.
Der Applaus für ihn fällt heftig aus an diesem Abend, zu dem der Trierer SPD-Chef Sven Teuber in ein Weinhaus in der Moselstadt geladen hat. Für den Landtagsabgeordneten aus dem Wahlkreis und der Heimat der rheinland-pfälzischen Regierungschefin Malu Dreyer ist für den Sonntag klar: „Ich werde mit Nein stimmen.“
Auch im Ortsverein Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern monieren viele, dass die Genossen bei den Sondierungen „nicht mehr rausgeholt haben“: Beim Spitzensteuersatz, der Einführung einer Bürgerversicherung und der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. „Das stößt Einigen doch bitter auf“, sagte der Vorsitzende Friedhelm Heibrock.
Der Ortsverein von SPD-Bundesvize Manuela Schwesig hat sich klar (19 dagegen, 7 dafür) gegen neue Koalitionsverhandlungen mit der Union ausgesprochen. Vor allem jungen Leute forderten „eine konsequente Erneuerung in der Opposition“ und eine Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit.
Auch im SPD-Unterbezirk Gießen, wo Hessens SPD-Chef und Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Wahlkreis hat, ist der Protest gegen die GroKo gerade bei den Jüngeren groß. Wie bei Kira Herbert (21): Sie ist dagegen, „weil ich denke, das könnte das Letzte sein, was die SPD macht. Und davor habe ich Angst.“ Jonas Zinnäcker (24) meint, dass die SPD Abgrenzung und soziales Profil brauche.
Und es geht immer wieder um Glaubwürdigkeit. „Ich habe kein Vertrauen mehr in die Führung. Es zerreißt mein rotes Herz“, sagt Alexander Kellersch, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Trier Mitte/Gartenfeld. Erst sei die GroKo mehrfach ausgeschlossen worden - und jetzt liege ein Papier vor, „in dem es keine Vision gibt, wo sich dieses Land hin entwickeln soll“. Er sei seit 15 Jahren Mitglied, aber das habe er noch nie getan: „Ich schäme mich im Moment für die SPD.“
Er finde es nicht schade, wenn es Neuwahlen gebe. „Und ich finde es nicht schade um diesen Bundesvorstand, wenn er seinen Hut nimmt.“ Er habe zu viel Unehrlichkeit „reingebracht“. Käthe Piro sagt ebenfalls: „Die Glaubwürdigkeit ist weg.“ Sie sei 77 Jahre alt - „aber im Herzen bin ich noch immer eine Juso-Frau.“ Sie sei aufgebracht, auch weil das Klima-Thema gleich zu Beginn gestrichen wurde. „Ich will NoGroKo. Ich bete am Sonntag ein Vaterunser dafür.“
Der Mainzer SPD-Vizechef Erik Donner will beim Parteitag auch mit Nein stimmen. Er vermisse „den Big Point, der der Union wehtut“. Der Wormser SPD-Landtagsabgeordnete Jens Guth sagt: „Die Parteibasis ist zu 80 Prozent dagegen.“ Die Spitze der SPD Vorderpfalz hat ebenfalls gegen Verhandlungen votiert.
SPD-Chef Martin Schulz merkt, dass die Luft dünner wird. Beim Landesparteirat in Mainz versucht er, Kritiker umzustimmen. Teils vergeblich. Je länger die Diskussion dauert, desto nachdenklicher sieht er aus - fast schon ein bisschen besorgt.
Darüber, wie das Votum ausgehen mag, will der Bürgermeister der hessischen Stadt Lich, Bernd Klein, keine Prognose abgeben. „Es gibt sowohl gute Argumente dafür wie dagegen“, sagt er. Er sei mit vielen Punkten sehr zufrieden. „Wenn es Jamaika gegeben hätte, wäre das nicht drin gewesen. So muss man das auch mal sehen.“
Manche sagen, man solle doch erstmal die Koalitionsverhandlungen machen, um dann noch mehr SPD-Themen zu setzen. „Danach können die Mitglieder doch über das Paket abstimmen“, sagt Alexander Rehmeier in Trier. Eine Minderheitsregierung der Union sei „nicht richtig. Das wird uns auf die Füße fallen und der SPD schaden“, meint er. Auch eine Neuwahl könne nicht im Interesse der SPD sein.
Doris Botterweck, fast 40 Jahre in der Partei, bringt es auf den Punkt: „Es ist einfach eine traurige Situation, dass ich zum ersten Mal das Gefühl habe: Hoffentlich bricht diese Partei nicht auseinander.“