Fragen und Antworten EU-Rüffel: Die Vorwürfe gegen Deutschland im Abgas-Skandal

Berlin/Brüssel (dpa) - Autobauer müssen Abgasregeln einhalten - darüber wachen die nationalen Aufsichtsbehörden. Das ist aber in Deutschland und sechs weiteren Staaten nicht ausreichend geschehen, argwöhnt die EU-Kommission.

Sie leitete Verfahren wegen mutmaßlicher Verletzung europäischen Rechts gegen die Länder ein.

Wie lauten die Vorwürfe?

Die Behörden in Deutschland, Luxemburg, Spanien und Großbritannien haben Volkswagen nicht für den Einsatz von Software bestraft, mit der sich Abgaswerte schönen lassen. Diese sogenannten Abschalteinrichtungen sind in Europa seit 2007 grundsätzlich verboten. Tschechien, Litauen und Griechenland sehen laut EU-Kommission in ihrem nationalen Recht nicht einmal Strafen vor.

Die Kommission wirft Deutschland und Großbritannien zudem vor, in ihren nationalen Untersuchungsberichten nicht alle bekannten Informationen zur Verfügung gestellt zu haben. Die EU-Behörde will nachvollziehen können, ob die gewährten Ausnahmen für den Einsatz sogenannter Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung nötig waren.

Ist es in Europa nicht generell verboten, die Abgasreinigung mit solchen Abschalteinrichtungen herunterzuregeln?

Eigentlich ja, und zwar schon seit 2007. In Ausnahmefällen darf die Software aber eingesetzt werden - etwa, wenn sie nötig ist, um den Motor vor Schäden zu schützen. VW und andere Hersteller haben solche Programme bei Millionen Dieselautos eingesetzt und argumentiert, dies sei vereinbar mit europäischem Recht. Das bezweifeln jedoch viele - zum Beispiel, wenn schon ab 17 Grad Celsius Außentemperatur nicht mehr richtig gereinigt wird. Hersteller nennen das „Thermofenster“.

Ob das Recht klar genug formuliert ist, darüber kann man streiten. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) argumentierte auch am Donnerstag wieder, dass schlechte Motoren mehr „Schutz“ zu Lasten der Abgaswerte bräuchten. Daher sollte der Motorschutz nur dann ein Grund für Ausnahmen sein dürfen, wenn es bei Einsatz der besten verfügbaren Technologien keine andere Möglichkeit gibt, um Schäden zu vermeiden.

Was sagt die Bundesregierung zu den Vorwürfen der Kommission?

Sie weist diese zurück. Deutschland habe als einziges Land in Europa „Sofortmaßnahmen zur gezielten Vermeidung von unzulässigen Abschalteinrichtungen“ umgesetzt. In Sachen VW habe man sich an den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ gehalten und dafür gesorgt, dass das Unternehmen Autos auf eigene Kosten nachrüstet, damit wieder alles legal ist.

Was genau passiert bei einem Vertragsverletzungsverfahren?

Die EU-Kommission ist die Hüterin des europäischen Rechts. Vermutet sie einen Verstoß, leitet sie ein mehrstufiges Verfahren ein. Zuerst sendet sie einen Brief in die jeweilige Hauptstadt und setzt der Regierung eine Frist von zwei Monaten für eine Stellungnahme.

Wenn die Antwort die Brüsseler Behörde nicht überzeugt, schreibt sie einen zweiten Brief und fordert, dass der unterstellte Missstand behoben wird. Als letztes Mittel ist auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof möglich. Dieser kann Zwangsgelder verhängen, falls er die Vorwürfe der Kommission als berechtigt einstuft.

Warum geht die EU-Kommission gegen Staaten vor - und nicht gegen einzelne Autobauer, die sich etwas zu Schulden kommen lassen?

Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts richten sich immer gegen EU-Staaten, nie gegen Unternehmen oder Privatpersonen. Denn nationale Regierungen müssen europäisches Recht einhalten und durchsetzen. In der Autobranche etwa sind Behörden der Mitgliedstaaten für die Aufsicht und Zulassung von Fahrzeugtypen zuständig.

Wenn ein Auto nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmt - etwa, weil die Hersteller es manipuliert haben, um Abgaswerte zu schönen -, dann müssen die Behörden handeln und gegebenenfalls die Genehmigung zurückziehen. Zudem sieht das EU-Recht Sanktionen vor, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Was das heißt, müssen die EU-Staaten festlegen.

Was ist in Deutschland seit dem Bekanntwerden des Skandals passiert?

Im September 2015 setzte Dobrindt die „Untersuchungskommission Volkswagen“ ein, im April präsentierte er deren Bericht. Demnach bestanden bei 22 getesteten Modellen unterschiedlicher Hersteller Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung wirklich mit dem Schutz der Motoren zu tun hat.

Es wurde ein Rückruf von insgesamt 630 000 Fahrzeugen von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW beschlossen, um die Technik zur Abgasreinigung zu ändern. Außerdem muss bei 2,5 Millionen Autos von VW nachgebessert werden. Zudem hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) eigene Technik für Tests im normalen Straßenbetrieb angeschafft und verlangt mehr Informationen von den Herstellern.

Was sagen die Kritiker des Verkehrsministers?

Umweltschützer und die Opposition werfen Dobrindt eine große Nähe zur Industrie vor, er verschleppe daher die Aufklärung und tue wenig für Kontrollen und Sanktionen. Ein Vertragsverletzungsverfahren hätte vor Jahren eingeleitet werden müssen, sagt Linke-Verkehrsexperte Herbert Behrens, der dem deutschen Abgas-Untersuchungsausschuss vorsitzt.

Aber auch die EU-Kommission habe lange geschwiegen und handele „scheinheilig“. Der Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss, Oliver Krischer, nennt Sanktionen der EU eine „logische Konsequenz“. Dobrindt bleibe der Öffentlichkeit die Antwort schuldig, mit welchen konkreten Maßnahmen er den Abgas-Skandal lückenlos aufklären will.