Fragen & Antworten: Bootsflüchtlinge und „Armutseinwanderer“

Luxemburg/Berlin (dpa) - Wie hält es die EU mit der Moral? Diese Frage setzt Europa schwer zu. Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa schreit nach Konsequenzen. Und die Schwachen innerhalb Europas? „Armutseinwander“ will Innenminister Friedrich nicht - und irritiert viele.

Nach dem Unglück vor Lampedusa gibt es Forderungen, Deutschland müsse mehr Flüchtlinge aufnehmen. Friedrich lehnt das ab und betont, Deutschland sei hier bereits Spitzenreiter in Europa. Stimmt das?

Laut EU-Statistik registrierte Deutschland im vergangenen Jahr zwar rund 77 500 Asylbewerber - und damit mehr als alle anderen Mitgliedsstaaten. In Italien etwa waren es nur 15 715 Asylsuchende. Gemessen an der Einwohnerzahl liegt Deutschland mit seinem Engagement aber nur im Mittelfeld der EU-Staaten. Nach dieser Berechnung trägt von den großen Ländern Schweden mit 4625 Asylbewerbern pro eine Million Einwohner die größte Last. Deutschland kommt nur auf einen Schnitt von 945, Italien auf lediglich 260. Die meisten Asylbewerber schultert bei dieser Betrachtung im Schnitt das kleine EU-Land Malta.

Wie ist der Umgang mit Flüchtlingen in der EU bislang geregelt?

Die sogenannte Dublin-II-Verordnung legt seit 2003 fest, dass zunächst das Land zuständig ist, über das der Asylbewerber in die EU eingereist ist. Deshalb machen Staaten an den EU-Rändern strenge Grenzkontrollen, weil sie sonst für alle Asylverfahren und die damit verbundenen Kosten zuständig sind. Belastet sind Länder wie Italien, Griechenland oder Zypern, wo sehr viele Bootsflüchtlinge ankommen.

Wie sind die Aussichten, das bisherige Prinzip zu ändern?

Schlecht. Große EU-Staaten, darunter Deutschland, lehnen eine Diskussion über eine neue Lastenteilung ab. Friedrich schlägt dagegen vor, den Kampf gegen Schleuser zu verstärken und die Lage in den afrikanischen Ländern zu verbessern, damit sich weniger Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen. Menschenrechtler halten das für nutzlos und reine „Ablenkungsmanöver“. Sie fordern eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge und legale Einreisemöglichkeiten.

Was haben Rumänen und Bulgaren mit der Flüchtlingsdebatte zu tun?

Nichts. Bulgarien und Rumänien sind seit 2007 EU-Mitglieder. Einwohner dieser Staaten können sich völlig legal in der EU bewegen. In den vergangenen Jahren wanderten zwischen 100 000 und 140 000 Menschen aus diesen Staaten nach Deutschland ein. Viele davon sind Roma, die in ihrer Heimat großer Diskriminierung ausgesetzt sind.

Warum tauchen sie in der aktuellen Diskussion auf?

Ab 2014 gilt für beide Staaten die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Manch einer, wie Friedrich, befürchtet, dass bald noch deutlich mehr Bulgaren und Rumänen kommen und die deutschen Sozialkassen überstrapazieren. Einige Kommunen klagen bereits über eine wachsende Zahl von Einwanderern aus beiden Staaten. Besonders betroffen sind Berlin, Duisburg oder Dortmund, wo die Arbeitslosenquote unter Bulgaren und Rumänen außergewöhnlich hoch ist. In Berlin etwa bezieht fast ein Fünftel der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung Hartz IV. Friedrich meint, einige kämen nur nach Deutschland, um Sozialleistungen zu erschleichen. Die EU müsse hart durchgreifen. Er will „Armutseinwanderer“ nach Hause zurückschicken oder ihnen die Wiedereinreise verbieten. Die Grünen halten das für „Populismus“ und „unerträgliches Gerede“.

Und was sagt die EU dazu?

Brüssel glaubt nicht an das Phänomen der „Armutseinwanderung“ von Rumänen und Bulgaren. Die EU-Kommission hält die Bedenken aus Deutschland für übertrieben und verlangt Belege - harte Zahlen und Fakten. Diese ist die Bundesregierung nach Ansicht der EU-Kommission seit Monaten schuldig geblieben.