Interview: Wissenschaftler mahnt in Krim-Krise zu kühlem Kopf

Freiberg (dpa) - Der Energieexperte und Rektor der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, Bernd Meyer, mahnt im Krim-Konflikt mit Russland zu kühlem Kopf. Das Land sei 40 Jahre lang ein zuverlässiger Rohstofflieferant gewesen.

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Er warne, dieses Verhältnis aufs Spiel zu setzen

Frage: Wie hoch ist die deutsche Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland?

Antwort: Die Abhängigkeit ist vor allem im Energiebereich groß. Bis zu 40 Prozent des Erdgases und des Erdöls, das in Deutschland verbraucht wird, stammt aus Russland. Dabei ist das Land in den vergangenen 40 Jahren ein verlässlicher Partner gewesen. Das ist für eine exportorientierte Wirtschaft wie der deutschen wichtig.

Frage: Ließen sich Erdöl und Erdgas nicht auch von anderen Lieferanten besorgen?

Antwort: Die Umstellung würde erhebliche Kosten verursachen. Es müssten neue Transportwege, zum Beispiel neue Pipelines, gebaut werden. Das ist teuer.

Frage: Die Bergakademie entwickelt das bekannte Verfahren der Kohlevergasung weiter, mit dem aus Kohle Synthesegas gewonnen wird. Wäre das eine Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen?

Antwort: Kaum. Aus der gesamten (inländischen) Braunkohleförderung eines Jahres - das sind aktuell rund 170 Millionen Tonnen - ließen sich theoretisch etwa 25 bis 30 Millionen Tonnen Erdöläquivalent gewinnen. Das entspricht nicht einmal einem Drittel des jetzigen Verbrauchs. Grundsätzlich wäre es aber möglich, die wichtigsten Basischemikalien aus Braunkohle herzustellen. Für jährlich rund 9 Millionen Tonnen Olefine wären 70 Millionen Tonnen Braunkohle ausreichend. Das könnte aber wegen der hohen Investitionen nur in kleinen Schritten erfolgen. Beim Kraftstoff sehe ich überhaupt keine Alternative. Der Verbrauch liegt mit derzeit jährlich 50 Millionen Tonnen einfach zu hoch.

Frage: Gibt es noch andere technische Möglichkeiten, die uns von Erdgas- und Erdölimporten unabhängiger machen könnten?

Antwort: Das wird längerfristig davon abhängen, wie die Energiewende gelingt. Dabei geht es ja im Grunde um mehr als nur umweltfreundliche Energiegewinnung. Es geht um den Umstieg von einer kohlenstoffintensiven auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft generell. Diese Umstellung wird etwa 40 bis 50 Jahren dauern.

Frage: Die TU Bergakademie Freiberg arbeitet eng mit der Bergbauuniversität in Sankt Petersburg zusammen. Wie wirkt sich die Krim-Krise da aus?

Antwort: Bis jetzt gar nicht. Wir Wissenschaftler raten allen Beteiligten zu einem kühlen Kopf. Auch die Deutsch-Russische Rohstoffkonferenz Anfang April in Dresden kann von unserer Seite wie geplant stattfinden. Wir plädieren auf Dauer ohnehin für eine engere Verflechtung vor allem im Bereich der universitären Ausbildung von Fach- und Führungskräften beider Länder, denn ein Mehr an persönlichen Kontakten und gegenseitigem Verständnis ist allemal die beste Investition in die Zukunft.

ZUR PERSON: Der 61-jährige Verfahrenstechniker Bernd Meyer stammt aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge und steht seit 2008 als Rektor an der Spitze der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Studiert hat er an der Technischen Hochschule Leuna/Merseburg und an der Bergakademie. Er leitet unter anderem Arbeiten zur Vergasung von Kohle und Abfallstoffen, Gas- und Ölspaltung sowie zur Biomassevergasung.