Koalition sucht Wulff-Nachfolger
Berlin (dpa) - Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff beraten Union und FDP heute über die Nachfolgefrage.
Bereits gestern Abend hatten sich dazu die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP - Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler - zu einem ersten Gespräch im Kanzleramt getroffen. Einzelheiten wurden nicht bekannt. Heute sollen auch die Spitzen der Koalitionsfraktionen im Bundestag - Volker Kauder (CDU), Gerda Hasselfeldt (CSU) und Rainer Brüderle (FDP) - einbezogen werden.
Kanzlerin Merkel will einen Kandidaten finden, der parteiübergreifend tragbar ist. SPD und Grüne zeigten sich zur Zusammenarbeit bereit, machten aber deutlich, dass sie kein schwarz-gelbes Regierungsmitglied akzeptieren werden.
Wulff war gestern (Freitag) nach zehn Wochen Dauerkritik und angesichts drohender strafrechtlicher Ermittlungen mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Die Staatsanwaltschaft Hannover will bereits heute nach Erlöschen seiner Immunität die Ermittlungen gegen ihn aufnehmen. Sie sieht einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung gegen den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten.
Mit nur 598 Tagen war Wulff so kurz im Amt wie kein anderer Bundespräsident. Der 52-Jährige wies in einer persönlichen Erklärung in Schloss Bellevue nochmals alle Vorwürfe wegen möglicher Begünstigungen durch befreundete Unternehmer zurück, räumte aber Fehler rein. Zugleich gab er zu, dass er das Präsidentenamt nicht mehr so wahrnehmen könne, „wie es notwendig ist“.
Im einem ARD-Deutschlandtrend gaben 73 Prozent der Befragten an, Wulffs Rücktritt sei der richtige Schritt gewesen. Nur 21 Prozent meinten, Wulff hätte länger im Amt bleiben sollen. Selbst bei Anhängern der Union sah die Bewertung ähnlich aus.
Zur Nachfolgesuche sagte die Kanzlerin: „Wir wollen Gespräche führen mit dem Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen zu können.“ Von der FDP wurde aber betont, dass die Entscheidung innerhalb der Koalition falle.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier begrüßte in der ARD zwar Merkels Angebot, sagte aber: „Wenn wir uns verständigen wollen, dann kann das kein Mitglied des Kabinetts sein. Sondern dann müssen wir uns ein bisschen mehr Mühe geben und auch etwas breiter gucken bei dem Personal, das möglicherweise zur Verfügung steht.“
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin äußerte sich in der ARD ähnlich: „Angehörige des Kabinetts gehen nicht.“ Linke-Chef Klaus Ernst forderte die Kanzlerin auf, auch seine Partei in die Nachfolgersuche einzubeziehen. „Merkel wäre gut beraten, nach einer Lösung mit allen im Bundestag vertretenen Parteien zu suchen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag). FDP-Generalsekretär Patrick Döring sagte im ZDF: „Wir wollen einen überzeugenden Kandidaten finden, der dem Amt Würde, Respekt und Autorität zurückgibt.“
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte Merkel in der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag): „Wir erwarten, dass sie nicht ein drittes Mal einen Kandidaten aus reiner Parteitaktik durchdrückt.“ Gabriel brachte den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck ins Gespräch, der 2010 gegen Wulff unterlegen war: „Wir haben Joachim Gauck damals für den besseren Kandidaten gehalten. Inzwischen ist für alle klar: Er ist es auch gewesen. An unserer Einschätzung zu Joachim Gauck hat sich nichts geändert.“ Der „Bild am Sonntag“ sagte Gabriel, die SPD halte Gauck weiterhin für das höchste Amt im Staate geeignet. „Er ist nach wie vor unser Favorit für dieses Amt. Er täte unserem Land gut und hätte großes Vertrauen bei den Bürgern.“
Gauck selbst wollte sich am Abend bei einer Veranstaltung in Koblenz nicht zu möglichen Ambitionen äußern. Wulffs Rücktritt mache ihn betrübt: „Ich persönlich kann mich nicht freuen.“
Als erster möglicher Kandidat winkte Verteidigungsminister Thomas de Maizière ab. „Das ist in jeder Hinsicht abwegig“, sagte der CDU-Politiker während seiner USA-Reise zu Spekulationen über seine Person. Im Gespräch sind auch der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), Finanzminister Wolfgang Schäuble und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, und die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt.
Bis zur Wahl des neuen Staatsoberhaupts, die spätestens am 18. März erfolgen muss, nimmt Bayerns Ministerpräsident Seehofer als amtierender Präsident des Bundesrats die Aufgaben des Staatsoberhaupts wahr. In der Bundesversammlung, die den neuen Präsidenten wählt, hat Schwarz-Gelb nur eine knappe Mehrheit von derzeit mindestens vier Stimmen.