Merkels Kanzlerkandidatur von Seehofers Gnaden?

Berlin (dpa) - Angela Merkel bleibt eisern. Nein, sie will sich noch nicht dazu äußern, ob sie bei der Bundestagswahl in einem guten Jahr erneut als Kanzlerkandidatin die Macht für die Union sichern will.

Da helfen alle Hilfskonstruktionen der Interviewer Tina Hassel und Thomas Baumann im ARD-Sommerinterview nichts. Die Kanzlerin lässt sich keine Neuigkeiten zu ihrer politischen Zukunft entlocken. Dabei hat eine knappe Meldung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ am Wochenende für ordentlichen Wirbel gesorgt. Es ging um Merkel und ihren Hauptkritiker von der Schwesterpartei, CSU-Chef Horst Seehofer.

Die Kanzlerin räumt das Thema an diesem Sonntagabend entspannt mit einem für sie typischen, etwas gestelzten Merkel-Satz ab. „Über die Frage, wie ich mich bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt ja dann auch Bericht erstatten oder die Aussage machen.“ Bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur. Bericht erstatten. Aussage machen. Als wenn sie einen staubtrockenen Passus aus der Vorlage eines ihrer Ministerialbeamten vorlesen würde. Keine Emotion, nichts.

Dann fügt sie doch noch schnell einen Satz an, der einen Kern der öffentlichen Aufregung der vergangenen Stunden betraf: „Wobei ich nur nochmal sagen will, ich habe auch zu keinem Zeitpunkt gesagt, wann ich es wollte oder nicht wollte. Also zum gegebenen Zeitpunkt.“

„Der Spiegel“ hatte unter Berufung auf CDU-Kreise gemeldet, Merkel verschiebe wegen Seehofer die Verkündung ihrer dann vierten Kanzlerkandidatur wohl bis zum nächsten Frühjahr. Ursprünglich habe sie geplant, schon im Frühjahr 2016 zu erklären, ob sie nochmal Kanzlerin werden wolle. Wegen der Flüchtlingskrise und des Streits mit Seehofer habe Merkel dies auf den Herbst verschoben. Nun sei auch dieser Zeitplan nicht zu halten, weil sich Seehofer bis zum Frühjahr offen lassen wolle, ob seine Partei die Kanzlerin unterstütze.

Berlin rätselte: Stimmt das so? CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte schon am Samstag einen Hinweis auf das politische Sommerloch. Motto: viel Wind um wenig Inhalt. Doch in den Zeiten des erbitterten Flüchtlingsstreits zwischen Merkel und Seehofer dreht sich in den Schwesterparteien viel um Deutungshoheit und politische Psychologie. Wer Fehler eingesteht, gilt oft als schwach. Und Schwächlinge werden nicht gewählt, glauben sie dieser Logik folgend in Berlin.

Bei den Christdemokraten verorten manche den Chef der kleinen Schwesterpartei CSU umgehend als mögliche eigentliche Quelle dieser Nachrichten. Liest man den „Spiegel“ („CSU-Chef torpediert Zeitplan der CDU zur Bundestagswahl“), könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, Merkel richte sich nach Seehofer. SPD-Wadenbeißer Ralf Stegner ätzt sofort, die Kandidatur Merkels hänge „offenbar am seidenen Faden der Gnade von Horst Seehofer“.

In Regierungs- und Parteikreisen werden die geschilderten Zeitpläne rasch als „frei erfunden“ bezeichnet. Die Kanzlerin habe nie vorgehabt, sich schon Frühjahr zu erklären, sagt einer, der es eigentlich wissen muss. Frühestens werde Merkel dies auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember in Essen tun, sagen mehrere Partei- und Regierungsinsider. Frühestens. Eigentlich sei der richtige Zeitpunkt ein halbes oder ein dreiviertel Jahr vor dem Wahltermin.

Doch selbst wenn Merkel sich in Essen - wie von vielen Parteifreunden erwartet - wiederwählen lässt, bedeute das nicht zwangsläufig, dass sie als Kanzlerkandidatin antrete, glauben manche, die sie schon lange begleiten. Zwar werde die Erwartungshaltung dann wachsen, dass Merkel sich auch um eine erneute Kanzlerschaft bewirbt. Doch eine zwingende Kopplung gebe es nicht. Ob sich das durchhalten lässt?

Für eine erneute Kanzlerkandidatur Merkels sprechen eine Reihe von Gründen: Selbst ihre Kritiker sehen keinen geeigneten Nachfolger. Je später sie einen Verzicht erkläre, desto schwieriger werde es, einen Nachfolger aufzubauen. Es drohe ein Absturz - das will niemand in der regierungsgewohnten CDU, Merkel natürlich auch nicht.

Hinzu kommt die Kanzlerin selbst. Noch ist die ihr zugeschriebene Flüchtlingskrise nicht bewältigt. Das Friedensprojekt EU wackelt - nicht zuletzt wegen der Uneinigkeit als Konsequenz aus Merkels Flüchtlingspolitik. Da könne die Kanzlerin kaum von Bord gehen und einen Berg von Problemen hinterlassen, glauben sie in ihrer Partei.

Merkel habe selbst im engeren Umkreis noch nicht angedeutet, wie sie sich entscheiden werde, heißt es in Unionskreisen. Es gebe aber keinerlei Anzeichen, dass sie nicht erneut antrete. Gerade ihre jüngsten Reisen quer durch Europa mit quasi pausenlosen Bemühungen zur Zukunft der EU nach einem möglichen Brexit zeigten doch, dass es keine Anzeichen von Resignation bei ihr gebe.

Bleibt das schwierige Verhältnis zu Seehofer. Die Merkel-Gegner in der CSU heizten mit Unwahrheiten die Gerüchteküche an, glauben manche Unionisten. Dabei gebe es in der Schwesterpartei trotz aller Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik noch einen nicht zu vernachlässigenden Teil eiserner Merkel-Anhänger. Auf diese könne Seehofer nicht verzichten, hoffen sie in der Kanzlerin-Partei.

Auch Seehofer dürfte eine neue Umfrage zu denken geben. Zwar hatte Emnid für „Bild am Sonntag“ ermittelt, dass Merkels Sympathiewerte sich nochmals verschlechtert haben. Aber unter den Unions-Anhängern sprachen sich 70 Prozent für eine weitere Amtszeit Merkels aus, nur 22 Prozent dagegen. Das könnte die Kanzlerin als Lichtblick werten.