Analyse Mit allen Mitteln: Anklage will lebenslang für Zschäpe

München (dpa) - Lebenslang für Beate Zschäpe, zwölf Jahre Haft für die beiden mutmaßlichen Terrorhelfer Ralf Wohlleben und André E., fünf Jahre Gefängnis für Holger G. und drei Jahre Jugendstrafe für Carsten S. - die Bundesanwaltschaft hat in ihren Plädoyers im NSU-Prozess hohe Strafen verlangt.

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Das hatten die meisten Beteiligten auch erwartet. Überraschend ist allerdings, wie die Anklage während ihres acht Tage währenden Schlussvortrags argumentierte.

Sie stützt sich nämlich auch auf Beweismittel, die sie im Prozess stets abgelehnt hatte - mit der Begründung, sie seien für die Beurteilung von Tat und Schuld nicht relevant. Die Beweismittel, um die es geht, hatten Nebenkläger eingebracht. Sie betreffen die rechtsextreme Gesinnung Zschäpes und der Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.

Beispiele:

Die „Turner-Tagebücher“. Bei diesem Werk handelt es sich um den Roman eines US-Nazi-Anführers. Er beschreibt, wie eine kleine Zelle wahllos dunkelhäutige Menschen und Polizisten erschießt, sich später mit Gleichgesinnten zu einer Untergrundarmee formiert und am Ende Atombomben auf die Zentren der vermeintlich „zionistisch organisierten Regierung“ abwirft, die Städte New York und Tel Aviv. Dieser Roman fand sich auf den Computern fast aller Angeklagten und nicht angeklagten Unterstützern des NSU. Im Plädoyer bezeichnete Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten ihn als „Blaupause“ für das Vorgehen des NSU. Im Prozess hatte die Anklage ihn als irrelevant abgelehnt. Das Gericht führte ihn gleichwohl im Selbstleseverfahren ein.

„The Order“. Unter diesem Namen verübte eine Terrorgruppe in den USA mehrere Verbrechen, darunter den Mord an einem jüdischen Radiomoderator. Der im NSU-Prozess mitangeklagte André E. pries die Taten dieser Gruppe in einer von ihm mitherausgegebenen Szene-Postille. Die Schriften E.s waren gegen den Widerstand der Bundesanwaltschaft als Beweismittel eingeführt worden. Jetzt, im Plädoyer, nannte Oberstaatsanwalt Weingarten den Text als Beleg für die Motivation von André E., den er als engsten und loyalsten Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ bezeichnete. Die Strafforderung von 12 Jahren gegen E. fiel unerwartet hoch aus. Das Gericht ließ ihn noch während der Verhandlung in Gewahrsam nehmen und berät bis Mittwoch über einen Haftbefehl.

„Blood & Honour“. Monatelang sorgte allein die Erwähnung dieses Gruppennamens für Krach im Gerichtssaal. „Szene-Voyeurismus“ oder „irrelevant“, hieß es bei Verteidigern - und Anklägern. Das änderte sich, als Richter Manfred Götzl seinerseits begann, Zeugen nach „Blood & Honour“ zu befragen. Mitglieder dieser Gruppe hatten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei sich versteckt, nachdem die drei aus Jena verschwunden und untergetaucht waren. Nach und nach erbrachte die Beweisaufnahme, dass „Blood & Honour“ ein straff organisierter Verband war, dass das NSU-Trio eng mit dieser Gruppe verbandelt und Beate Zschäpe eine Affäre mit einem ihrer Anführer hatte. Außerdem, dass diese Gruppe sich um Geld und Waffen für das NSU-Trio bemühte und überdies von V-Leuten mehrerer Verfassungsschutzämter durchsetzt war.

Treffen Rykestraße, Berlin. Im Plädoyer sah Oberstaatsanwältin Anette Greger ein Treffen Beate Zschäpes mit Uwe Mundlos und vermutlich einem der sächsischen „Blood & Honour“-Chefs in einem Café neben der Synagoge an der Berliner Rykestraße als Beleg für Zschäpes prägende Rolle in der Gruppe. Aufzeichnungen darüber hatten sich in der Prozessakte gefunden. Ein Wachmann habe Zschäpe und Mundlos in dem Café erkannt. Zudem war der betreffende „Blood & Honour“-Chef vom sächsischen Verfassungsschutz überwacht worden. Aufgespürt hatte diese Unterlagen der Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin. Die Bundesanwaltschaft wandte sich dagegen, sie im Prozess einzuführen. Das Gericht entschied anders.

Dass die Bundesanwaltschaft ihre Strafforderung gegen Zschäpe und ihre mutmaßlichen Helfer auch mit Beweisen begründet, die sie im Verfahren zuerst gar nicht wollte, mag mit der teils schwierigen juristischen Konstruktion der Anklage zu tun haben. Sie betrifft etwa den Vorwurf der Mittäterschaft gegen Zschäpe.

Dafür hat der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren hohe Hürden errichtet, vor allem der 3. Strafsenat in Karlsruhe, der als Revisionsinstanz für den NSU-Prozess zuständig wäre. Dort waren mehrfach Staatsanwaltschaften mit Anklagen wegen Mittäterschaft gescheitert. Ungeklärt ist freilich, wie vergleichbar diese Fälle mit dem NSU-Prozess sind.