Analyse Obamas letzter Besuch als Präsident
Berlin (dpa) - Angela Merkel fällt dieser Besuch schwer. Nicht, weil die Themen so kompliziert sind, über die sie mit Barack Obama sprechen wird. Der schreckliche Syrienkrieg, die Gefahr durch die Terrormiliz IS, die Schuldenkrise in Griechenland, der Ausstieg der Briten aus der EU und und und.
Es sind für die Bundeskanzlerin zwei bedrückende Tage, weil es das letzte Mal ist, dass sie Barack Obama als US-Präsidenten an ihrer Seite hat. Der mächtige Mann, der die deutsche Regierungschefin zu seiner wichtigsten Partnerin im Ausland erklärt hat. Das Verhältnis war in den vergangenen acht Jahren nicht konfliktfrei. Aber vertrauensvoll. Das ist viel. „Mit ihr habe ich wahrscheinlich am engsten zusammengearbeitet“, sagt Obama über Merkel. Ihn haben die Deutschen wahrscheinlich so gefeiert, wie keinen anderen.
Es darf bezweifelt werden, dass die Kanzlerin zu Obamas Nachfolger Donald Trump eine ähnliche Nähe aufbauen wird. Doch auch für Obama ist Deutschland ein Sehnsuchtsland. Er wollte unbedingt noch einmal nach Deutschland, die Stärke der Beziehungen demonstrieren. Viele fragten sich: Was soll das eigentlich? Da galt noch Hillary Clinton als Favoritin auf seine Nachfolge.
Nun, vor völlig neuem und unerwartetem Hintergrund, kommt Obama als Mahner und Erklärer. Und als einer, der sein Erbe - so gemischt es ausfallen mag - retten will, vor dem Zugriff unberechenbarer Politnovizen. Er, der vergangene Woche eineinhalb Stunden mit Trump unter vier Augen zusammensaß, ist plötzlich zum Mittelsmann geworden - ein harter Job. Obama muss Trump, den er noch vor weniger als zwei Wochen glatte Unfähigkeit bescheinigt hatte, jetzt im Ausland verkaufen. Und zwar ohne sein Land, dessen Bürger und die Würde des Amtes zu verletzen.
Wie gut es Obama auch gelingen mag, in Sachen Donald Trump zu besänftigen: Die Berater von Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellen sich darauf ein, dass sie nicht so schnell einen Kontakt zur Trump-Truppe finden werden - auch weil es bisher so gut wie keine Drähte gibt. Es dürfte lange dauern, bis die Scherben, die Trumps Wahlkampf hinterlassen hat, überhaupt erst einmal zusammengefegt sind. Fast alle Grundfesten scheinen erschüttert. Was wird aus der Nato, dem Klimaabkommen, dem Atomabkommen mit dem Iran, dem Zusammenhalt des Westens gegen Machtansprüche Russlands?
Die Botschaft dieses Besuches könnte so lauten: Die USA bleiben ein wichtiger Partner für Deutschland - Merkel könnte auf den Superlativ vom wichtigsten Partner verzichten - aber nun muss die Bundesrepublik sich mehr um sich selbst kümmern. Unabhängiger werden. Vielleicht erwachsener. Ein Abschied von Amerika als großer Bruder.
Nach Obamas Ankunft am Mittwochabend bei trübem Wetter - passend zur Stimmung der Obama-Anhänger in der deutschen Regierung und im ganzen Land - traf sich Merkel mit ihm im Nobel-Hotel Adlon zum Essen. Die Kanzlerin will so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen, um zu hören, was er über Trump sagt, wie er ihn sieht, für wie gefährlich er ihn vielleicht hält. Das alles abgeschottet von der Öffentlichkeit, in sehr kleinem Kreis. Obama bekannte schon offiziell: „Der nächste US-Präsident und ich könnten unterschiedlicher nicht sein.“
Schon vor ihrem Zusammentreffen haben der scheidende Präsident und die Kanzlerin, die erst noch erklären muss, ob sie zum vierten Mal für dieses Amt antreten will, für das umstrittene TTIP- Freihandelsabkommen geworben. Auch das hält Trump für Teufelszeug. In der „Wirtschaftswoche“ schreiben Merkel und Obama: „Eine Rückkehr in eine Welt vor der Globalisierung wird es nicht geben.“ Dennoch halten Experten das Abkommen für eingefroren - mindestens.
Die Achse Washington-Berlin sei für die Weltwirtschaft und die G20-Gruppe der Top-Wirtschaftsmächte enorm wichtig. Apropos G20: Die 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie die Europäische Union sind im Juli zu Gast in Deutschland. Spätestens da werde sie Trump treffen, hatte Merkel gesagt. Das wäre eine ganz schön lange Zeit, bis die beiden Regierunschefs Kontakt von Angesicht und Angesicht aufnehmen würden. Im Mai ist noch der G7-Gipfel in Italien. Aber selbst dieses Gelegenheit wäre reichlich spät.
In einem Punkt wird Merkel Obama aber ganz sicher enttäuschen. Die Bundesregierung geht nicht auf seine Forderungen nach weiteren Schuldenerleichterungen für Griechenland ein. Es gebe einen in der Euro-Gruppe vereinbarten klaren Fahrplan zum weiteren Vorgehen. Danach soll erst 2018 über mögliche zusätzliche Maßnahmen entschieden werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) pocht schon jetzt auf weitere Erleichterungen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hält Schuldenerleichterungen für Griechenland aktuell aber nicht für angebracht und liegt deswegen mit dem IWF im Clinch.
Wenn Obama am Freitag nach Peru zu seinem letzten Gipfel der Pazifik-Anrainer reist, geht er als Freund. Am Donnerstagnachmittag gehen Merkel und Obama gemeinsam vor die Kameras. Das letzte Mal. Tränen, werden wohl weder der Kanzlerin noch dem Präsidenten kommen. Aber wehmütig werden sie vermutlich sein.