NRW-Opferschützerin im Einsatz Opfer der Amokfahrt brauchen Orientierung im Hilfsdschungel

Münster (dpa) - Brennende Kerzen, Blumen, Worte der Solidarität und des Mitgefühls: Die Anteilnahme für die Opfer der Todesfahrt von Münster ist riesig. Es werde alles Denkbare zur Unterstützung der Opfer und ihrer Angehörigen getan, verspricht etwa die Kanzlerin in einer ersten Reaktion.

Foto: dpa

Doch was muss passieren, dass Hilfsversprechen für die einzelnen keine Lippenbekenntnisse bleiben? Damit Trauernde, Verletzte oder Traumatisierte jetzt bekommen, was sie brauchen, ist in Nordrhein-Westfalen die frisch eingesetzte Opferschutzbeauftragte, Elisabeth Auchter-Mainz, in ihrem ersten Großeinsatz.

Nach Angaben ihres Sprechers hat sie bereits Kontakt aufgenommen, befindet sie sich mitten in Gesprächen mit jenen, die leiden, seit ein 48-jähriger psychisch kranker Mann seinen Campingbus in eine Menschenmenge steuerte und sich selbst erschoss. Er riss zwei Menschen mit in den Tod. 25 weitere wurden verletzt, drei von ihnen rangen am Montag noch um ihr Leben.

Dass Nordrhein-Westfalen mit der ehemaligen Generalstaatsanwältin Auchter-Mainz über eine hauptamtliche Opferschützerin und damit eine zentrale Anlaufstelle für Leidtragende nach Verbrechen und Katastrophen verfügt, geht auf eine schmerzliche Lehre der Vergangenheit zurück.

Nicht nur aus den Erfahrungen der Loveparade-Katastrophe im Jahr 2010 wollte man lernen. Auch nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 hatten Angehörige und Verletzte mangelnde Hilfe, fehlende Ansprechpartner und schleppende Entschädigung beklagt.

Mit einer Flut von Hilfsanfragen befasste sich damals der ehrenamtliche Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber. Der Anwalt fordert schon seit Jahren zentrale Stellen auf Bundes- und Landesebene, von der aus Hilfsangebote vernetzt, koordiniert und gelenkt werden können - eine Art Wegweiser durch den Dschungel der Hilfsangebote.

Erst die Mängel nach dem Terror auf dem Weihnachtsmarkt brachten Bewegung in das Problem. Der Bund setzte mit Kurt Beck einen Beauftragten für die Opfer des Anschlags ein - drei Monate nach dem Geschehen. Arbeit für ihn gab es reichlich, wie sein Abschlussbericht zeigt.

Gesetzlich seien Opfer von Verbrechen oder Unfällen in Deutschland zwar gut abgesichert, erläutert Weber. „Aber im deutschen System läuft alles nur per Antragstellung. Viele Menschen wissen gar nicht, wo sie in welchem Fall Hilfe bekommen können.“ Wer in einer Ausnahmesituation stecke, sei zudem doppelt hilflos, weil es an Kraft fehle. Daher fordert Weber: „Wir müssen viel aktiver auf Opfer zugehen.“ Er hat die Hoffnung, dass dies mit der Opferschützerin Auchter-Mainz in NRW nun besser werde.

„Durch Katastrophen wie die Loveparade oder Amoklagen ist inzwischen auch ein Bewusstsein dafür gewachsen, dass es auch staatliche Aufgabe ist, sich um Opfer zu kümmern - und zwar auch um die Wunden, die man nicht sieht“, sagt auch Bernd Kersken, oberster Notfallseelsorger im Bistum Münster.

Seine Mitarbeiter und Kollegen aus der Region waren am Samstag und Sonntag die ersten, die Seite an Seite mit den Rettungskräften Nothilfe für die unsichtbaren Wunden leisteten. Es sei darum gegangen, im größten Durcheinander „einfach da zu sein, zu zu hören“, sagt er. „Manchmal sind wir einfach auch nur die ersten, die da sind und schweigen“, sagt Kersken.

Dass nach dieser Akutphase die eigentliche Arbeit der Opferberatung- und -betreuung beginnt, berichtet auch Jürgen Widera aus seiner langjährigen Erfahrung als evangelischer Pfarrer und Ombudsmann für die Opfer der Loveparade-Katastrophe. „Die Löcher tun sich oft erst auf, wenn der erste Schock vorbei ist. Dann erleben die Opfer, dass plötzlich niemand mehr für sie da ist“, sagt er.

Wie geht es weiter, wenn ich meiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann? Wer ersetzt mir materielle Schäden? Was kann ich tun, wenn ich die Trauer und das Trauma nicht verarbeiten kann? „Betroffene sollten sich auf jeden Fall beraten lassen. Je früher, desto besser“, empfiehlt Gisela Raimund, Sprecherin im Landesverband Berlin der Opferschutzorganisation Weißer Ring.

Sie hat auch Opfer nach dem Breitscheidplatz-Anschlag beraten und tut es noch immer. Denn zu weit weg sei es selten: „Wir hatten hier Menschen, die sich ein Jahr nach dem Berliner Anschlag erst bei uns gemeldet haben, weil sie gemerkt haben, dass sie nicht klarkommen.“