Papst Benedikt redet der Politik ins Gewissen
Berlin (dpa) - Papst Benedikt XVI. hat die Politik aufgefordert, moralische Verantwortung für die Schöpfung, den Frieden und mehr Gerechtigkeit in der Welt zu übernehmen.
„Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen“, sagte Benedikt XVI. am Donnerstag bei der ersten Rede eines Papstes im Bundestag. Maßstab politischer Arbeit dürfe nicht „der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein“.
Dem historischen Auftritt waren Dutzende Abgeordnete aus Protest ferngeblieben. Nur 28 der 76 Plätze der Linksfraktion waren besetzt. Die meisten anwesenden Abgeordneten der Fraktion trugen rote Aids-Schleifen. Bei SPD und Grünen waren die Reihen dagegen relativ dicht besetzt. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele verließ nach den ersten Sätzen von Papst Benedikt XVI. den Plenarsaal. Nach eigener Aussage fand er den Begrüßungsapplaus als zu heftig.
Die Kritiker sahen durch die Rede die Trennung von Staat und Kirche verletzt. Der Papst wertete die Einladung ins Parlament als Anerkennung dafür, dass dem Heiligen Stuhl eine Rolle als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukomme.
Von Union und FDP waren mit Ausnahme einzelner, die entschuldigt fehlten, alle Abgeordneten anwesend. Die Anwesenden begrüßten den Papst, der neben Bundespräsident Christian Wulff stand, mit langanhaltendem Applaus. Zu den rund 750 Zuhörern gehörten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), zahlreiche Bundesminister, Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und viele Ministerpräsidenten.
Benedikt kritisierte scharf eine zunehmende Glaubensferne und Geringschätzung der Religion. Anders als von vielen erhofft ging der Papst nicht auf die Auswüchse des Kapitalismus und die Euro- und Schuldenkrise ein, die die Menschen verunsichert. Er kritisierte einen zunehmenden Glauben an die technische Machbarkeit, der die europäische Kultur bedrohe.
Der 84-Jährige wandte sich dagegen, Natur und Schöpfung nur noch nach funktionalen Gesichtspunkten zu bewerten. „Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen.“ Es dürfe nicht sein, dass nur noch eine solche Denkweise gelte - Ethos und Religion aber außen vor bleiben. „Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist“, betonte Benedikt XVI. Eine Denkweise, wo es nur um das Funktionieren gehe, gleiche Betonbauten ohne Fenster.
Besonders lobte er das Aufkommen der Ökobewegung in den 1970er Jahren. „Ich würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist.“ So etwas sei auch heute nötig, betonte der Papst: „Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“
Jungen Menschen sei damals bewusstgeworden, dass irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht mehr stimme. „Dass Materie nicht nur Material für unser Machen ist, sondern dass die Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen.“ Als Lob für die Grünen, die bei diesen Passagen klatschten, wollte er das nicht verstanden wissen. Unter Gelächter etlicher Zuhörer sagte er: „Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache - nichts liegt mir ferner als dies.“
Papst Benedikt XVI. wies zudem auf die Grenzen des demokratischen Mehrheitsprinzips hin - manche Fragen seien nur unter moralischen Aspekten lösbar. „In einem Großteil der rechtlich zu regelnden Materien kann die Mehrheit ein genügendes Kriterium sein. Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig.“
Der Papst ging nicht direkt auf die Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein, betonte aber: „Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen.“ Politiker und Wissenschaftler seien daher besonders gefordert, ihre Entscheidungen auch moralisch zu bedenken.
Der während der Nazi-Zeit aufgewachsene Papst betonte, eine solch dunkle Zeit dürfe niemals wiederkehren. „Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers.“ Nach seiner rund 22-minütigen, in weiten Teilen theologisch-philosophischen Rede, bekam er minutenlang Applaus. Auch die anwesenden Vertreter von Linken und Grünen erhoben sich. Bevor Benedikt den Plenarsaal Richtung Olympiastadion zur dortigen Messe verließ, sprach er im Reichstag noch mit einigen Ministerpräsidenten.
Schon vor seiner Rede hatte der Papst in einem gesonderten Raum führende Bundestagsabgeordnete herzlich begrüßt. Unter anderem unterhielt er sich lächelnd mit Linke-Fraktionschef Gregor Gysi, der vor dem Papst-Auftritt eine mögliche Segnung unter Verweis auf seine unreligiöse Einstellung abgelehnt hatte.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wies in seiner Begrüßungsrede auf die Trennung von Staat und Kirche hin. Diese Errungenschaft der Aufklärung gehöre zu den „unaufgebbaren Fortschritten unserer Zivilisation“.
Angesichts von Schuldenkrise und zunehmender Glaubensferne mahnte Lammert eine Rückbesinnung auf ethische Werte an. „In Zeiten der Globalisierung, einer von Kriegen und Krisen erschütterten Welt, suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung“, sagte er. „Die Bewahrung ethischer Prinzipien jenseits von Märkten und Mächten und die Pflege gemeinsamer Werte und Überzeugungen ist eine große Herausforderung, auch und gerade moderner Gesellschaften, wenn sie ihren inneren Zusammenhalt nicht gefährden wollen.“
Bei Spitzenpolitikern von FDP und Union stieß der Boykott der Papst-Rede seitens vieler Oppositionspolitiker auf Unverständnis. Die SPD hatte sich vom Papst eine Stellungnahme zum sexuellen Missbrauch in der Kirche sowie ein Signal für die Ökumene erhofft - diese Erwartungen wurden enttäuscht. Tausende Papstgegner vom „Bündnis gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes“ demonstrierten während der Rede in Berlin.