Raus aus der Schmuddelecke: „Das ist nicht mein Weissach“
Weissach im Tal (dpa) - Auch zweieinhalb Wochen nach dem Feuer in einem geplanten Asylbewerberheim in Weissach im Tal liegt der Brandgeruch noch in der Luft. Zerborstene Scheiben, verkohlte Türstürze und eine Badewanne voll Schutt - das abgebrannte Haus bietet ein Bild der Verwüstung.
Hier hätten eigentlich einmal 20 Flüchtlinge Schutz finden sollen. Der Brandanschlag beendete den Sommerurlaub des Weissacher Bürgermeisters Ian Schölzel abrupt. Am Morgen des 24. Augusts erreichte ihn auf Sylt die Nachricht, dass in seiner Gemeinde ein künftiges Flüchtlingsheim bis auf die Grundmauern abgebrannt war. Dass der vor kurzem im Amt bestätigte Rathauschef in diesen Stunden sein Dorf nicht alleine lassen konnte, war rasch entschieden. „Guck, wann das nächste Flugzeug geht, sagte meine Frau sofort zu mir“, erzählt Schölzel. Seit diesem Tag versuchen er und seine Mitstreiter, das Image des beschaulichen 7000-Seelen-Ortes nordöstlich von Stuttgart aufzupolieren.
Das ist bitter nötig. Denn der „Spiegel“ zeigte das Bild des in Flammen stehenden künftigen Quartiers auf dem Titelblatt unter der Überschrift „Dunkeldeutschland“ - in Anlehnung an eine Formulierung von Bundespräsident Joachim Gauck. Doch als Symbol für Erbarmungslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit will Tina Unold, Mitglied des örtlichen Arbeitskreises Integration, ihre Heimat nicht sehen. Sie kann sich mit dem Bild in dem Magazin überhaupt nicht identifizieren: „Das ist nicht mein Weissach.“ Bernd Hecktor, ebenfalls engagiert im Arbeitskreis, spricht sogar von „Verleumdung“.
Klar ist, dass das Feuer gelegt wurde - unklar, wer dahintersteckt. Auf einem Fenstersims stehen ein paar verwelkte Rosen in einer Glasvase, Solidaritätsbekundung für die Zehntausenden von Hilfesuchenden, die in deutschen Kommunen Unterschlupf finden. Kurz nach dem Brand versammelten sich immerhin 500 Menschen zu einer Mahnwache, um unter dem Motto „Weissach bekennt Farbe“ ihre Betroffenheit über den Anschlag kund zu tun. Zu einem ökumenischen Friedensgebet von Pfarrer Albrecht Duncker kamen 150 Menschen.
Schölzel meint, seine Gemeinde habe nicht verdient in die Schmuddelecke gestellt zu werden. Sein Appell lautet: „Wir müssen durch unser Handeln zeigen, dass wir den Stempel zu Unrecht tragen.“ Und das beherzigen viele seiner Bürger. Seit Juli dient das „Bazärle“ als Second-Hand-Shop vor allem für Flüchtlinge und als Treffpunkt. Im ehemaligen Schleckerlanden stapeln sich gespendete Kleider und Spielsachen.
„Nach dem Hausbrand sind wir förmlich überrollt worden - von Tonnen Ware“, erzählt Marion Aumüller, ehrenamtliche Mitarbeiterin im „Bazärle“. Auch die Miete für die Räume wird bis zum Jahresende durch eine Spende finanziert. 20 Paten kümmern sich um die bereits im Ort lebenden 37 Flüchtlinge, begleiten sie zu Behörden und Ärzten.
Dennoch - Weissach reiht sich ein in die wachsende Liste von Kommunen, in denen Flüchtlingsunterkünfte Opfer von Flammen werden. Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen die rechte Szene im Visier, aber noch keine heiße Spur. Der Rems-Murr-Kreis ist bekannt für rechtsextreme Umtriebe, aber in den vergangenen Jahren zählte das Land dort weniger Rechtsextreme und weniger Delikte aus diesem Spektrum. 2014 erfasste das Innenministerium unter der Kategorie rechte Gewalttäter 12 Personen im Landkreis. 2010 waren es noch 33. Bei den Gewalttaten mit rechtsextremen Hintergrund zeigt sich eine ähnliche Entwicklung: 2014 waren es zwei, 2010 sieben und 2006 noch 19.
Das Haus in der Welzheimer Straße in Weissach brannte nicht zum ersten Mal. Schon 2005, damals bereits bewohnt, war es Ziel eines Anschlags geworden. Ein 17 Jahre alter Neonazi warf mit zwei Komplizen einen Molotow-Cocktail gegen das Haus, in dem sich zu dem Zeitpunkt elf Menschen aufhielten. Der Brand erlosch von alleine, verletzt wurde niemand. Der junge Mann wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Für Moussa, der „Bazärle“ beim Kleidersortieren hilft, ist der Brand in der Unterkunft nicht das schlimmste Erlebnis während seines neunmonatigen Aufenthaltes in Deutschland. Zwar versteht der Asylbewerber aus Gambia, der unerkannt bleiben möchte, die Brandstiftung überhaupt nicht, denn da werde doch Geld verschwendet. Was ihm am meisten zu schaffen macht, ist ein persönliches Erlebnis. Eine Frau habe ihn auf der Straße voll Verachtung angespuckt. „Ich habe die ganze Nacht geheult“, sagt der 35-Jährige, den es nach einer dramatischen Rettung aus einem sinkenden Boot im Mittelmeer nach Schwaben verschlagen hat.
Warum kommt der Mann mit der Rasta-Frisur ins „Bazärle“? „Ich will nicht nutzlos sein“, sagt der ehemalige Fischer. Der Mann, der drei Söhne zurücklassen musste, hat im Kreis der Kollegen auch eine Art neue Familie geworden. Moussa richtet den kritischen Blick weniger auf die Deutschen als auf andere Flüchtlinge: „Sie müssen wissen, dass viele Augen auf sie blicken. Und wenn man so im Fokus ist, benimmt man sich gut.“
Weitaus gereizter reagiert Lehrer Hecktor auf den Anschlag: „Ich bin entsetzt und empört.“ Den Tätern schreibt er ins Stammbuch: „Ihr habt ja ein Rad ab.“ Unold geht viel weiter: „Die müsste man in den Krieg nach Libyen schicken und dann den Weg über das Meer zurückkehren lassen“, sagt die 53-Jährige.
Kurden, Syrer, Pakistani, Inder wohnen bereits über das Dorf zerstreut in Wohnungen, also in der von der Gemeinde organisierten dezentralen Anschlussunterbringung. Damit scheint kaum jemand Probleme zu haben. Hitzig diskutiert wird hingegen eine geplante Sammelunterkunft, in der der Landkreis 160 Flüchtlinge vorläufig unterbringen will. Die Nutzung der vor zwei Jahren aufgegebenen Druckerei sorgte nach Worten von Schölzel für eine „sehr emotionale“ Stimmung unter den 230 Teilnehmern einer Veranstaltung am 10. August. Was bringen die Kritiker vor? Angst vor Kriminalität, sinkenden Immobilienpreisen und Konflikten zwischen unter eng zusammenlebenden Menschen.
Auch wenn Schölzel nicht alle Befürchtungen nachvollziehen kann, ist er doch überzeugt: „Ein Kommunalpolitiker muss die Sorgen der Bürger ernst nehmen.“ Er fügt hinzu: „Die, die solche Anschläge begehen, kann man eh schlecht erreichen.“ Wichtig sei, den Nährboden für solche Verbrechen gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb müsse man Antworten geben.
Die verlangt auch eine nach dem Brand gegründete „Bürgerinitiative für die sozialverträgliche Unterbringung von Flüchtlingen“. Gründungsmitglied Kurt Zeller will damit ein Sprachrohr sein für alle diejenigen, die zwischen denen stehen, die sich der Flüchtlingsaufnahme total verweigern, und denen, die sie bedingungslos befürworten. „Die Mitte ist außen vor und wird in die rechte Ecke geschoben“, klagt Zeller.
Die leerstehende Druckerei sei als Massenunterkunft nicht geeignet, meint Zeller, der nahe dem Areal wohnt. Die Initiative mit derzeit zehn Mitgliedern schlägt drei alternative Flächen in Weissach vor, auf denen Systembauten aufgestellt werden können. Zellers Mitstreiter, Matthias Schick, nennt mehrere Gründe, die gegen den Gebäudekomplex sprächen. Der Platz zum Spielen und Verweilen im Freien sei zu knapp bemessen, die Sanitäranlagen reichten nicht aus, der Boden sei mit Chemikalien verseucht, das Dach undicht.
Schick, der nach eigenen Worten zehn Meter von dem Gebäude entfernt wohnt, hat für seine Meinung unschöne Anrufe bekommen. Er sei als „Nazi“ beschimpft worden. „Dabei bin ich so weit weg von einem Nazi wie die Kuh vom Walzertanzen.“ Dass er wie andere Angst vor einem Brand auch der Druckerei habe, räumt er ein. „Ich habe zumindest Bauchweh.“
Zu den Antworten, die Schölzel geben kann, gehört ein Sicherheitskonzept für den Ort. Das will der junge Rathauschef in Abstimmung mit der Polizei erarbeiten. Ziel: etwaigen Spannungen zwischen Bürgern und Schutzsuchenden, aber auch innerhalb der Flüchtlinge entgegenzuwirken. Dafür hat er bereits zwei ehemalige Polizisten im Boot, die als Ansprechpartner für alle Seiten dienen sollen. Er will überdies die Sprengkraft aus der Diskussion über die Sammelunterkunft nehmen, indem er dort nur Platz für 80 Menschen vorsieht. Der Rest soll in einer ehemaligen Bücherei, einem alten Schulhaus und im wieder errichteten Flüchtlingsheim unterkommen.
Dass das zerstörte Gebäude wieder als Zuflucht aufgebaut wird, ist Schölzel ein Herzensanliegen. „Wir lassen uns nicht unterkriegen.“ Er hofft, am 17. September den Gemeinderat von seinem Vorschlag zu überzeugen. Auch für Pfarrer Duncker ist die Botschaft wichtig: „Ihr könnt das Haus abbrennen, so oft ihr wollt, wir bauen es wieder auf.“
Ob der Landkreis aber das neue Unterbringungskonzept der Kommune billigt, ist noch offen. „Es ist wichtig, mit den Kommunen sozialverträgliche Unterkünfte zu finden“, sagt die Vize-Sprecherin des Landratsamtes, Martina Nikolaus. „Aber angesichts der täglichen Zuströme können wir nicht versichern, dass wir alle kommunalen Wünsche erfüllen können.“ Der Kreis stehe vor der Herausforderung, bis zum Jahresende nochmals 3000 Männer, Frauen und Kinder unterzubringen - nach bislang 2000 in diesem Jahr. Nikolaus fügt hinzu: „Heute und gestern haben wir zwei Turnhallen belegt, morgen kommt die dritte, daran sieht man auch die Not.“