Report: „Alle Kandidaten sind gut“

Brüssel (dpa) - François Hollande bemüht sich um Entspannung. Am Rande des Brüsseler Sondergipfels zu den EU-Topposten meint der französische Staatspräsident, ihm komme es eigentlich gar nicht auf Namen an, sondern auf Ziele und politische Ausrichtung.

Betont fröhlich gibt sich Luxemburgs liberaler Premier Xavier Bettel: „Alle Kandidaten sind gut.“ Drinnen im Ratsgebäude ist es dann vorbei mit der guten Laune.

Der Streit im Postenpoker entzündet sich um eine 41-jährige Italienerin. Die Staats- und Regierungschefs verhandeln über ein Paket - und das macht es besonders kompliziert. Neben dem Ratsvorsitzenden, der die Gipfel leitet, geht es auch um den EU-Außenbeauftragten. Und je nachdem, wie die Posten verteilt werden, hat dies wiederum Auswirkungen, welcher Staat welchen Kommissarsposten bekommt.

„Wir brauchen jemanden, der Erfahrung in der Außenpolitik hat und der vor allem nicht für den Kreml ist“, lautet die resolute Ansage der litauischen Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, die sich in Karate bereits den schwarzen Gürtel erkämpfte.

Das darf als Spitze gegen die italienische Außenamtschefin Federica Mogherini verstanden werden. In den baltischen Staaten und in Polen fürchtet man, die Sozialdemokratin und Vertraute von Regierungschef Matteo Renzi sei in der Ukraine-Krise gegenüber Moskau zu nachgiebig. Renzi äußert sich nicht direkt dazu, aber sagt sichtlich geladen: „Italien fordert vor allem Respekt.“ Wenn Mogherini blockiert wird, dürfte er einen wichtigen Kommissarsposten einfordern, zumal der Sieg bei der Europawahl sein Selbstbewusstsein weiter gesteigert hat.

Die Lage ist so verfahren, dass der EU-Sondergipfel laut Diplomaten früh vor dem Scheitern steht, schon kurz nach dem Beginn wird eine Vertagung der Personalentscheidungen auf August ins Spiel gebracht. Eigentlich soll die neue Kommission um Jean-Claude Juncker ab November arbeiten, muss zuvor aber auch durch das EU-Parlament bestätigt werden. Das gilt zwar nicht für den Nachfolger von Hermann von Rompuy als EU-Ratspräsident, der die 28 Staats- und Regierungschefs koordiniert. Doch auch diese Top-Personalie gehört zum großen Paket.

Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt, seit Wochen als Favoritin für den prestigeträchtigen Posten gehandelt, wiederholt in Dänisch und Englisch: „Ich bin keine Kandidatin, ich habe es mehrfach gesagt, und ich füge nichts hinzu.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wirkt in Brüssel angespannt und dimmt frühzeitig die Erwartungen auf eine Einigung herunter. Minutenlang diskutiert sie bei einem Vorbereitungs-Treffen der Europäischen Volkspartei in einem Hotel mit Polens Premier Donald Tusk. Auch er wurde schon als neuer EU-Ratspräsident gehandelt. Tusk ist ein erfolgreicher und versierter Regierungschef - doch sein Englisch lässt nach Ansicht von EU-Insidern erheblich zu wünschen übrig.

Am Tag vor ihrem 60. Geburtstag widmet die CDU-Politikerin dem europäischen Personalpuzzle zwar viel Zeit, aber zermürbende Debatten bis spät nach Mitternacht wären kein wünschenswertes Geschenk. Das Treffen steht von Anfang in der Tat unter keinem guten Stern. Der Beginn wird kurzerhand um zwei Stunden nach hinten verschoben. Statt der großen Runde gibt es zunächst Debatten im kleinen Kreis.

Das heißt: Krise von Anfang an. „Der Schlüssel liegt darin, eine Balance zu finden“, resümiert Finnlands Premier Alexander Stubb. „Zwischen großen und kleinen Ländern, (...) Norden und Süden, Nicht-Euro-Staaten und Euro-Staaten. Ebenso müssen wir auf die politische Ausgewogenheit achten.“ Die Proporz-Vorgaben sind also vielschichtig. Schon fast vergessen sind die Bilder von der Wahl des Luxemburgers Juncker im Straßburger Europaparlament vom Dienstag. Bei der Kür standen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale zusammen. Von dieser Eintracht ist beim Gipfel nichts mehr zu spüren.

Die Sozialdemokraten fordern nach der Juncker-Wahl gleich zwei der vier Brüsseler Spitzenposten. Mogherini soll nach ihrem Willen in die Europa-Hauptstadt wechseln, und auch Thorning-Schmidt. „Es ist ganz logisch, dass wir beide Posten beanspruchen“, meint EU-Parlamentschef Martin Schulz. Das letzte Wort dürfte das nicht gewesen sein.