Report: „Appetit auf Gemüse“
Hamburg/Kiel (dpa) - Unentschlossen stehen an diesem Freitag viele Kunden vor den Gemüseständen der Wochenmärkte im Norden. Salat kaufen und essen - ja oder nein?
Bei ihnen hat die Nachricht von der Entwarnung des Robert Koch-Instituts (RKI) schnell die Runde gemacht. Viele wollen ab sofort wieder ohne Bedenken zugreifen. „Langsam hab ich wieder richtig Appetit“, sagt Claudia Platzeck, während sie auf dem Hamburger Isemarkt ihre Einkäufe einpackt - inklusive Tomaten und Gurken.
Nachdem sie die Nachricht gehört hatte, griff sie zum ersten Mal seit rund drei Wochen wieder erleichtert zu. Ähnlich sieht das Karin Farahbaran aus Kiel. „Der Salat hat uns in den vergangenen Tagen schon gefehlt.“ Sie und ihre Familie hatten wie so viele Kunden komplett auf Salat, Tomaten und Gurken verzichtet.
Während die einen entspannt einkaufen, bleiben andere noch unsicher: „Ich warte lieber noch zwei, drei Wochen. So schnell geht das bei mir nicht“, sagt Meriam Walter. Die junge Mutter aus Hamburg hat gerade eine große Gemüsetüte gekauft, auf Gurken oder Salat will sie aber noch verzichten: Mit einem kleinen Baby sei sie lieber etwas vorsichtiger. Auch Ane Gesel aus Kiel will noch eine Weile warten, bis wieder Salat auf ihrem Speiseplan steht. „Es gibt so viele andere schöne Dinge, die man essen kann“, findet die Frau.
Das RKI in Berlin hatte am Freitag die wegen der EHEC-Epidemie verhängte Warnung vor dem Verzehr roher Tomaten, Gurken und Blattsalate aufgehoben. In der Landwirtschaft im Norden machte sich sofort Erleichterung breit. „Wir haben ja von Anfang an gesagt, unser Gemüse wird nicht mit Gülle gedüngt“, sagt die Sprecherin der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, Isa-Maria Kuhn. Allerdings sei der Schaden da, und vor allem das Image der Bauern leide. Wie hoch der Schaden insgesamt ist, lässt sich derzeit laut Kieler Landwirtschaftsministerium nicht beziffern.
Die Landwirte rechnen damit, dass es noch einige Zeit dauert, bis das Vertrauen der Kunden zurückgewonnen ist. „Das geht nicht von heute auf morgen“, sagt der Pressesprecher des Bauernverbands Schleswig-Holstein, Klaus Dahmke. Dennoch sei man natürlich erleichtert über die Nachrichten aus Berlin.
Die Kieler Marktfrau Anne Krüger hat Salat und Gurken am Freitag noch gar nicht wieder im Angebot. Die Aufhebung der Warnung vor dem Verzehr kam für diesen Markttag zu spät. „Ab nächster Woche kann ich dann endlich wieder alles verkaufen“, sagt sie. „Ich bin wahnsinnig erleichtert.“
Auch die Verkäufer auf dem Hamburger Isemarkt merken eine Entspannung: „Das Geschäft läuft langsam wieder besser“, so der allgemeine Tenor. Dennoch hat die EHEC-Krise ihre Spuren hinterlassen. „In den letzten Wochen haben wir im Schnitt 50 Prozent weniger Umsatz gemacht“, sagt Gemüsehändler Andreas Handke, der seit 25 Jahren auf dem Isemarkt verkauft.
In der Hamburger Innenstadt bekamen Bauern und Händler direkt zu spüren, wie sich die Entwarnung auf das Essverhalten der Deutschen auswirkt. Sie verschenkten tonnenweise Gurken, Salat und Kohlrabi, um auf ihre drastischen Einbußen hinzuweisen. Nachdem sich die Nachricht von der Entwarnung herumgesprochen hatte, griffen viele Hamburger gerne zu. „Das hat sich so doll verbreitet, dass die Leute uns das Gemüse dann tütenweise aus der Hand gerissen haben“, sagt Jens Elvers, einer der Mitorganisatoren.
Für viele Bauern kommt die Entwarnung aber zu spät - ihr Schaden ist nicht mehr rückgängig zu machen. In der Gewächshausanlage „Vitarom“ in Hemmingstedt (Kreis Dithmarschen) mussten bislang rund 200 Tonnen Gemüse entsorgt werden. „Wir haben volle Läger und müssen weiter ernten“, sagt Sprecher Frank Schoof am Freitag. Deshalb müssten in dem Betrieb auch weiter Lebensmittel weggeworfen werden. Es herrscht zwar Erleichterung über die Entwarnung, aber: „Das Vertrauen der Kunden ist durch das Hin und Her der letzten Wochen völlig ruiniert“, meint Schoof.