Report: Droht nach Erdbeben- auch Atomkatastrophe?

Tokio (dpa) - Als die Nachricht von einer Explosion im Kernkraftwerk Fukushima über die japanischen Fernsehsender flimmert, breitet sich Angst in aller Welt aus.

Grauenhafte Bilder von der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl gerieten im fernen Westen wieder in böse Erinnerung, doch in Japan selbst blieben die Menschen vergleichsweise gefasst. Nirgendwo bricht Panik aus.

„Wegen des Atomkraftwerks mache ich mir eigentlich keine Sorgen. Ist das echt so schlimm?“, fragt der 21-jährige Kaji Shimauchi, der gerade vom Urlaub auf den Philippinen heimgekehrt ist. Als er auf seinem Smartphone die Nachricht liest, außerhalb der Evakuierungslinie gebe es keine Gefahr, liest er sein Buch weiter. Andere haben weniger Vertrauen in das Katastrophenmanagement der Regierung und brechen gen Süden auf.

In den Supermärkten decken sich manche Bürger mit Hamsterkäufen ein. Insgesamt geht das Leben in Tokio seinen gewohnten Gang, bis auf den Umstand, dass viele Züge Verspätung haben. In der Regierung jedoch herrscht höchste Alarmstufe. Regierungssprecher Yukio Edano informiert mit ernster, aber unaufgeregter Miene über den neuesten Stand. Plötzlich die Eilmeldung von einer möglichen Kernschmelze. Die Lage spitzt sich immer mehr zu. Droht jetzt der GAU?

In der Nähe des Atomkraftwerks sei radioaktives Cäsium festgestellt worden, erklärt die Atomsicherheitskommission. Eine Bestätigung dafür, dass es in den Reaktoren tatsächlich zu einer Kernschmelze kam, gibt es aber nicht. Das Cäsium könnte auch beim Ablassen von Druck entwichen sein.

Dennoch lässt die Regierung den Evakuierungsradius um die beschädigten Kernkraftwerke Fukushima Eins und Zwei von 10 auf 20 Kilometer ausweiten. Der Regierungssprecher ruft die Bevölkerung auf, ruhig zu bleiben. Das ist sie auch. Dann am Abend vorsichtiges Aufatmen: Die Explosion vom Nachmittag werde zu keinem größeren radioaktiven Leck führen, sagt Regierungssprecher Edano. Von Kernschmelze spricht sein Dienstchef Kan vor der Presse weiter nicht.

Beamte der japanischen Atomsicherheitsbehörde glauben auch nicht, dass es am Gehäuse des Reaktors im Kernkraftwerk Fukushima Eins zu ernsten Schäden kam. Die Evakuierung der Häuser von Anwohnern sei eine Vorsichtsmaßnahme und nicht wegen besonderer Gefahrenlage erfolgt.

Während zehntausende Atomkraftgegner am selben Tag mit einer Menschenkette von Stuttgart zum Kernkraftwerk Neckarwestheim für einen sofortigen Atomausstieg demonstrieren, geht es in Japan allein um die Frage der Sicherheit der Meiler. Doch wie sicher sind die AKWs in Fukushima wirklich?

Noch immer erschüttern Nachbeben die Erde. Fakt ist, dass sich Japan auch nach wiederholten Pannen und schweren Unfällen in den Atomkraftwerken des Landes bislang nie davon abbringen ließ, seinen Atomkurs fortzusetzen. Und das bislang ohne große öffentliche Diskussionen. Zu den bereits mehr als 50 bestehenden Meilern soll bis 2030 ein weiteres gutes Dutzend hinzukommen. Ob sich daran etwas ändern wird, darf bezweifelt werden.

Für Japan gibt es jetzt ohnehin Wichtigeres, als über die Frage eines Atomausstiegs nachzudenken. 21 000 Menschen müssen in Notunterkünften hausen. In der schwer betroffenen Provinz Miyagi fehlte laut Medienberichten von 10 000 Menschen jedes Lebenszeichen. Die Regierung befürchtet mehr als 1000 Todesopfer. Nachbeben hielten die Menschen des Landes auch in weit vom Epizentrum entfernten Gegenden in Atem.

Derweil begannen die Einsatzkräfte mit ersten Aufträumarbeiten. Wann die verwüsteten Gebiete wieder zur Normalität zurückkehren, ist noch nicht abzuschätzen. Regierungschef Naoto Kan, der die Katastrophenregion am Samstag per Helikopter besuchte, rief die Bürger auf, das Desaster gemeinsam zu überwinden.