Report: Japaner verdrängen Atomunfall - oder flüchten

Tokio/Kobe (dpa) - Von einer drohenden Katastrophe ist in den abendlichen Straßen von Tokio wenig zu spüren.

An der Haltestelle Yurakucho im Zentrum der japanischen Hauptstadt rumoren einige Bauarbeiter mit einem Presslufthammer an einem Loch im Boden. Direkt dahinter schlürfen Geschäftsmänner heiße Nudelsuppen in einem Imbiss unter den Bahngleisen.

Oben an den Schienen wartet Tatsuki Hasegawa auf seinen Zug. Der 24-Jährige schiebt seine verspiegelte Sonnenbrille ins durchgestylte Haar. Ja, von der Explosion im Atomkraftwerk habe er gehört. „Wir können uns hier nicht vorstellen, wie groß das werden könnte“, sagt er. Ein riesiger Atomunfall? Durchaus möglich. „Aber ich selbst mache mir noch keine Sorgen. Das ist jetzt noch nicht mein Problem.“ Schließlich müsse er am Montag wieder zur Arbeit.

An der Tokio-Station ganz in der Nähe ist auch alles ruhig. Nur vor dem Ticket-Schalter des Superschnellzugs Shinkansen in Richtung Süden hat sich eine Schlange gebildet. Etwa 30 Leute warten dort geduldig. Zwischen ihnen steht John Sparks. Der junge Brite wohnt in Tokio. „Ich saß den ganzen Tag vor dem Fernseher und kam dann hier her, um zu schauen, ob die Züge fahren.“ Sie fahren, also fährt er mit, nach Kyoto, weil es da sicherer sei.

In den Abteilen des Schnellzugs ist etwas von der Nervosität zu spüren, die in der Stadt kaum vorhanden scheint. Viele Familien mit kleinen Kindern sitzen hier. „Ich war überrascht, wie ruhig es in Tokio ist“, sagte die 33-jährige Emi - ihren Nachnamen möchte sie nicht sagen, und den ihres Mannes und ihres sieben Monate alten Sohnes auch nicht. Ein Foto? Nein, danke. Sie wirkt angespannt.

„Wir haben schnell alles fürs Baby eingepackt und nichts für uns“, sagte Emi. „Eigentlich wollten wir erst morgen fahren. Aber dann wurde alles schlimmer. Morgen kommt man vielleicht nicht mehr raus.“ Der Regierung vertraut sie nicht. „Die spielen die Sache herunter, damit die Menschen nicht in Panik ausbrechen.“

Sehr ähnlich antwortet die Familie einen Sitz weiter. Die Regierung habe die Menschen oft zu spät informiert. Und auch der 28-jährige Software-Entwickler Shinji Masui im nächsten Abteil setzt sich lieber zu seiner Familie im Süden ab, als ein Risiko einzugehen. „Ich glaube der Regierung nicht.“ Ob das Misstrauen diesmal berechtigt ist, wartet er lieber im Süden Japans ab.