Report: Japan zwischen Verunsicherung und Hoffnung

Tokio (dpa) - Der japanische Regierungschef Naoto Kan beruhigt sein Volk weiter, will offenbar Hoffnung geben. „Verglichen mit vorher, verbessert sich die Situation Schritt für Schritt“, sagt er. Die Freisetzung radioaktiver Partikelchen im zerstörten Atomkraftwerk Fukushima sinke.

Es sei aber noch nicht der Punkt erreicht, fügt Kan hinzu, an dem man vorhersagen könne, was passieren werde. Kurz zuvor hatte die Atomaufsichtsbehörde die Einschätzung des Atomunfalls auf die höchste Stufe 7 angehoben - bislang nur erreicht beim Unglück in Tschernobyl. Viele Japaner sind stark verunsichert. Eine Bäuerin aus dem Dorf Iitate klagt der Zeitung „Asahi Shimbun“ ihr Leid. „Also, was ist denn nun?“, fragt sie. Ihr Dorf liegt 40 Kilometer von der Atomruine entfernt. Am Vortag hatte sie erfahren, dass die Regierung die Evakuierungszone ausgeweitet hat.

Vor kurzem habe die Internationale Atomenergiebehörde erklärt, ihr Dorf sei in Gefahr, sagt die 55-Jährige. „Die Regierung hat das aber verleugnet. Nun heißt es, dass wir doch evakuieren sollen.“ Die jüngsten Verlautbarungen der Regierung haben bei manchen Katastrophenopfern ein Wechselbad der Gefühle ausgelöst.

Ein 67-Jähriger, der im selben Dorf ein Unternehmen mit 68 Angestellten betreibt, fragt: „Warum heißt es jetzt, dass wir doch evakuieren sollen? Es ist alles widersprüchlich, was die Regierung sagt.“ Gerade hat er auf ausdrücklichen Wunsch seiner Angestellten den Betrieb wieder aufgenommen. „Solange es kein Befehl ist, will ich hier nicht weg“, sagt er.

Einen Tag später dann die Entscheidung der Atomaufsichtsbehörde, die Gefahrenstufe auf die gleiche Höhe wie die in Tschernobyl zu heben. Am Abend beruhigt ein Regierungssprecher das Volk gleich wieder: Die Heraufstufung bedeute nicht, dass sich die Situation verschlechtere, versichert er. Und sein Dienstchef Kan fordert die Japaner dann auch noch auf, einen Monat nach Beginn der Katastrophe möglichst zu einem „normalen Leben“ zurückzukehren. Sie sollten ihre bislang geübte Zurückhaltung beim Konsum ablegen.

Die Menschen in den Katastrophengebieten sind von Normalität derzeit allerdings noch weit entfernt. Ständig belasten neue, schwere Beben die Bewohner in den Notunterkünften. „Wie lange geht dieses Leben noch weiter?“, fragt eines der Opfer in einem Flüchtlingslager in Iwaki (Provinz Fukushima). Hinzu kommt die dauernde Angst vor radioaktiver Verstrahlung. Man könne von Wiederaufbau „nicht einmal träumen, bis die Radioaktivität, dieser unsichtbare Feind, verschwunden ist“, sagt der Bürgermeister der Stadt Tamura, Yukei Tomitsuka, der Nachrichtenagentur Kyodo.

Viele Bewohner der Provinz Fukushima haben zwiespältige Gefühle. Einerseits fürchten sie die Strahlen, andererseits verdanken die Menschen in dieser Region der Atomkraft seit fast einem halben Jahrhundert ihren bisherigen Lebensunterhalt. „Mehr als die Hälfte der Bewohner hier hat von den Atomanlagen gelebt, da kann ich nicht dagegen sein“, sagt ein 64-Jähriger aus Namie. Außerdem hätten die Reaktoren in Fukushima auch die Menschen im Großraum Tokio mit Energie versorgt. „Aber jetzt, da es einen Unfall gegeben hat, sind die Menschen aus Fukushima nirgendwo mehr willkommen“, klagt der 59 Jahre alte Bauer Masatake Hansaki.