Interview: Gefahr ist niedriger als in Tschernobyl

Aachen (dpa) - Japan schätzt das Ausmaß der radioaktiven Verseuchung in Fukushima so hoch ein wie vor fast 25 Jahren in Tschernobyl.

Der Leiter des Lehrstuhls für Reaktorsicherheit und -technik an der RWTH Aachen, Professor Hans-Josef Allelein, schätzt die Gefahr dagegen geringer ein und begründete das am Dienstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Japan hat den Atomunfall in Fukushima auf die gleiche Gefahrenstufe wie Tschernobyl angehoben. Ist das nachvollziehbar?

Allelein: „Da muss man aufpassen. Tschernobyl ist von der IAEA, also von der internationalen Staatengemeinschaft, auf die Stufe 7 gesetzt worden. Hier ist das zunächst eine Einstufung von japanischen Behörden. Ob die IAEA dem folgen wird, ist eine andere Frage. Ich persönlich würde unabhängig von den Richtlinien, die es da gibt, Fukushima immer noch nicht in die Tschernobyl-Kategorie einstufen. Allerdings auch höher als das, was in Harrisburg (1979) passiert ist. Harrisburg ist mit 5 eingestuft worden, Tschernobyl mit 7. Nach meinem Dafürhalten liegt Fukushima von den Auswirkungen im Augenblick genau dazwischen.“

Wo liegt der große Unterschied zwischen Tschernobyl und Fukushima?

Allelein: „In Tschernobyl hat es direkt zu Anfang des Störfalls eine große Explosion gegeben, wo das radioaktive Inventar sehr weit in die Atmosphäre, sehr hoch eingefahren worden ist. Mit der unschönen Konsequenz, dass wir verhältnismäßig hohe Werte auch über Europa weit verstreut gemessen haben und teilweise immer noch messen. In Fukushima sieht die Situation anders aus. Die Anlagen waren ja ordnungsgemäß runtergeschaltet, und es hat dann eben auch Explosionen geringeren Ausmaßes gegeben und Freisetzungen. Insgesamt kann ich mir vorstellen, dass - eine grobe Hausnummer gesagt - zehn Prozent des Inventars freigesetzt worden sind und 90 Prozent noch in den Anlagen vorhanden sind und dass da die Möglichkeit besteht, einen großen Teil sicher einzuschließen und sicher damit umzugehen.“

Wann wird man damit beginnen können?

Allelein: „Frühestens in einem halben Jahr kann man etwas tun. Man wird die Brennelemente - zumindest in den Blöcken und Lagerbecken, wo es zu einer partiellen Kernschmelze gekommen ist - entweder einschließen oder ferngesteuert mit Robotern zersägen, zerlegen und dann in entsprechende Lager verbringen, wo sie sicher eingelagert sind. Es ist eine knifflige Sache. Wenn man ordnungsgemäß Brennelemente auslädt, müssen sie fünf Jahre im Brennelementlagerbecken bleiben, damit die Radioaktivität abgeklungen ist, damit man das überhaupt handhaben kann.“