Report: Vom reichen Weltstar zum armen Häftling
Pretoria (dpa) - Am Morgen noch im eleganten dunklen Anzug. Am Nachmittag in der orangen Kluft des Strafvollzugs. 20 Monate, nachdem Oscar Pistorius seine Freundin Reeva Steenkamp erschoss, geht am Dienstag alles recht schnell.
Fünf Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung, so das Urteil von Richterin Thokozile Masipa. Sie ist kaum mit der Verkündung fertig, als der berühmteste Behindertensportler der Welt und mehrfache Paralympics-Sieger abgeführt wird.
Rasch steckt ihm ein Cousin noch einen Beutel mit Hygieneartikeln zu. Dann die obligatorische Abnahme der Fingerabdrücke. Anschließend kurze Gelegenheit zum Abschied von der Familie. Händeschütteln, Umarmen, Schulterklopfen.
Keine Träne. Wie oft hat dieser Mann vor Gericht geweint, wenn die Sprache auf jene furchtbare Nacht zum Valentinstag des Jahres 2013 kam. Vier Schüsse aus einer großkalibrigen Pistole gab „Oscar Superstar“ damals auf die geschlossene Toilettentür seines Hauses ab. Jene Tür, hinter der er nach eigener Aussage einen Einbrecher vermutete, aber nicht seine 29-jährige Freundin.
Die Tür und der kleine Raum dahinter spielen im Finale eines der weltweit spektakulärsten Mordprozesse der letzten Jahre noch einmal eine Rolle. Es sei „grob fahrlässig“ gewesen, auf diese Tür zu feuern, sagt die Richterin. Pistorius habe den Tod eines Menschen leichtfertig in Kauf genommen. „Hausarrest wäre nicht angemessen“, betont Masipa. Da ist allen im Saal klar: Oscar Pistorius kehrt heute nicht zurück in die Villa seines Onkels Arnold in Waterkloof, dem vornehmsten Wohnviertel Pretorias.
„Nichts, was ich heute sage, kann die Ereignisse ungeschehen machen“, erklärt die Richterin (67) mit sanfter ruhiger Stimme. „Aber ich hoffe, dass es beiträgt, nun Abstand zu gewinnen.“ Das wäre nur gut für dieses Land, das manche langfristigen Folgen der Apartheid bis heute nicht vollständig überwunden hat.
So werden immer noch Hausbesitzer - meist Weiße - frei gesprochen oder nur geringfügig bestraft, wenn sie auf Einbrecher - oft Schwarze - schießen. Jeder im Saal versteht, warum Masipa betont: „Es wäre ein trauriger Tag, wenn der Eindruck entstünde, dass es ein Gesetz für die Armen und eines für die Reichen und Berühmten gibt.“
Berühmt ist der 27-jährige Pistorius zweifellos. Reich vielleicht nicht mehr, seine Verteidigung soll ihn Medien zufolge umgerechnet rund 6000 Euro pro Tag gekostet haben. „Er hat alles verloren“, hatte sein Anwalt Barry Roux erklärt. Ein solcher Mann gehöre nicht ins Gefängnis, sondern dürfe höchstens Hausarrest bekommen.
Fünf Jahre Haft erscheinen verglichen damit wie ein hartes Urteil. Doch genau betrachtet ist Pistorius vom Hausarrest wohl nicht allzu weit entfernt. Schon nach Verbüßung eines Sechstels der Strafe könne er beantragen, den Rest in Hausarrest umzuwandeln, erklärt der Sprecher des Strafvollzugs, Mthunzi Mhaga. Nach zehn Monaten also könnte Pistorius zurückkehren in die Villa seines Onkels. „Es waren äußerst schwere 20 Monate. Wir alle sind erschöpft und emotional ausgelaugt“, sagt dieser Onkel. Die Familie akzeptiere das Urteil.
Doch draußen auf der Straße protestieren viele gegen das aus ihrer Sicht zu milde Strafmaß, während Pistorius gerade in einem vergitterten Gefangenentransporter das Gericht verlässt und ins nahe gelegene Zentralgefängnis von Pretoria gebracht wird.
Ein lautstarker Wortführer der Proteste ist der Aktivist Golden Miles Bhudu, der Pistorius' Reue für geheuchelt hält. „Dieser Mann weint wie ein Baby und er kreischt wie eine Frau, aber er schießt wie ein Soldat“, sagt er und rasselt mit Ketten, in die Pistorius seiner Meinung nach gehört.
Die Nationale Strafverfolgungsbehörde will nun prüfen, ob sie nicht doch eine Verurteilung wegen Mordes anstrebt. „Es gibt Appetit auf ein Berufungsverfahren“, sagt Behördensprecher Nathi Mncube. Die Familie von Reeva Steenkamp aber gibt sich zufrieden. Ihre Mutter June sagt Reportern: „Der Gerechtigkeit wurde genüge getan.“ Richterin Masipa wird das gern vernommen haben. „Beim Gericht“, hatte sie erklärt, „kann es nicht darum gehen, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sondern es geht darum, für Gerechtigkeit zu sorgen.“