Analyse Scheitern als Chance: Gabriels Krisenmission in Ankara
Ankara (dpa) - Im Außenministerium in Ankara sieht alles nach einem ganz normalen Besuch aus dem Ausland aus. Auf dem Podium stehen zwei Pulte mit Halbmond und Stern, dahinter die türkische und die deutsche Flagge, an der Wand ein Zitat des Staatsgründers Atatürk: „Frieden zu Hause, Frieden in der Welt.“
Die Pressekonferenz, die hier stattfindet, ist aber alles andere als normal. Dass es sie überhaupt gibt, ist schon ein Fortschritt in den zerrütteten deutsch-türkischen Beziehungen.
Die Außenminister Mevlüt Cavusoglu und Sigmar Gabriel sind sich zwar schon einige Male begegnet. Gemeinsam vor die Presse getreten sind sie aber noch nie. Stattdessen gab es Auftrittsverbote für türkische Politiker in Deutschland und im Gegenzug eine Flut von Nazi-Vorwürfen gegen Deutschland und sogar gegen Kanzlerin Angela Merkel persönlich.
Seit dem umstrittenen Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum hat sich der Ton entschärft. Das merkt man auch bei der Pressekonferenz. Gabriel holt lange aus, um alles Positive zwischen Deutschland und der Türkei aufzuzählen: Nato-Partnerschaft, gemeinsamer Kampf gegen den IS, Städtepartnerschaften, kultureller Austausch, Zollunion.
„Manchmal ist es ganz gut, wenn man sich daran erinnert, dass sie auch mal exzellent gewesen sind“, sagte der deutsche Minister über die Beziehungen beider Länder. Auch Cavusoglu nennt Felder, in denen es zwischen beiden Ländern mehr oder weniger rund läuft: Der Handel, zum Beispiel, und irgendwann vielleicht auch wieder der Tourismus. „Unsere Kooperation in anderen Bereichen liegt auf der Hand.“
Beim Hauptstreitthema beider Länder scheitert aber ein letzter Einigungsversuch. Cavusoglu weigert sich weiter, deutschen Abgeordneten das uneingeschränkte Besuchsrecht bei den deutschen Soldaten auf der Luftwaffenbasis Incirlik zu gewähren. Gabriel hat damit gerechnet. Er hat sich keine Illusionen gemacht, dass es einen Durchbruch geben könnte. Zu viele Gespräche sind diesem in Ankara vorausgegangen, sogar auf höchster Ebene.
Vor Gabriel war schon Merkel mit einem Einigungsversuch bei Erdogan auf Granit gestoßen. Jetzt gibt es nur noch einen Ausweg aus dem Dilemma: Raus aus Incirlik. In der Nato ist das ein ziemlich beispielloser Vorgang: Weil sich zwei Bündnispartner nicht verstehen, werden Soldaten außerhalb des Nato-Gebiets stationiert, wo sie dann auch noch schlechtere militärische Bedingungen vorfinden. Künftig werden sich deutsche „Tornado“-Aufklärungsflugzeuge und ein Tankflugzeug von Jordanien aus am Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) beteiligen.
Trotz dieses Armutszeugnisses für die deutsch-türkischen Beziehungen versucht Gabriel das Scheitern als Chance zu verkaufen. Immerhin müsse man sich jetzt nicht mehr über Incirlik streiten und könne sich anderen Themen widmen, sagt er. Das Problem: Auch bei den anderen Streitpunkten ist keine Lösung absehbar.
Wie schlecht es schon seit langem um das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara steht, dafür ist die regierungsnahe türkische Presse immer ein guter Indikator. Im März - als die Nazi-Vorwürfe Erdogans, aber auch Cavusoglus, Hochkonjunktur hatten - hatte die Zeitung „Günes“ Kanzlerin Merkel in SS-Uniform gezeigt. Am Montag erschien „Günes“ anlässlich des Gabriel-Besuchs wieder mit Merkel auf der Titelseite. Diesmal war die Kanzlerin in Bittstellerpose abgebildet.
„Merkels Bluff (...) ist nicht aufgegangen“, schrieb die Boulevardzeitung zur Drohung, die Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen. Das Blatt lag falsch. Merkel hatte nicht geblufft, und der Abzug der deutschen Soldaten steht nun doch bevor. Die Maximalforderung, mit der Gabriel in das Krisengespräch am Montag ging, wäre für die türkische Seite aber wohl ohnehin nie akzeptabel gewesen.
Die Bundesregierung forderte eine Blanko-Besuchserlaubnis für alle deutschen Abgeordneten auf dem Stützpunkt in Incirlik, der zu den wichtigsten der türkischen Luftwaffe gehört. Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin hatte kurz vor Gabriels Visite gesagt, wenn Besuche deutscher Parlamentarier in Incirlik überhaupt stattfänden, müsse die Türkei das letzte Wort darüber haben, wer Zutritt zu der Basis erhalte.
Das dürfte besonders auf jene Abgeordneten der Linken gemünzt gewesen sein, die Sympathien für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK erkennen lassen. So hatte zum Beispiel Jan van Aken im März 2015 am Rednerpult im Bundestag ein Blatt hochgehalten, auf dem die Flagge der PKK abgebildet war. Van Aken fordert ein Ende des PKK-Verbots in Europa. Aus Sicht der Türkei - wo die PKK regelmäßig Terroranschläge vor allem gegen Sicherheitskräfte verübt - ein rotes Tuch.
Auch van Aken hatte erfolglos einen Besuch in Incirlik beantragt. Die von Gabriel geforderte pauschale Besuchserlaubnis hätte bedeutet, dass die Türkei auch ihr hochgradig suspekte Abgeordnete auf die Basis hätte lassen müssen.
So sehr sich Gabriel und Cavusoglu am Montag auch bemühen, die verbliebenen positiven Aspekte in den Beziehungen zu betonen: Wie weit die Positionen auseinanderliegen, zeigt nicht zuletzt der Fall des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. Nachdem Yücel im Februar in der Türkei inhaftiert worden war, hatte Gabriel das bilaterale Verhältnis „vor einer der größten Belastungsproben in der Gegenwart“ gesehen. Die Bundesregierung hält die gegen Yücel vorgebrachten Terrorvorwürfe für an den Haaren herbeigezogen.
Am Montag sagt Gabriel nun vage über Yücel und andere Inhaftierte: „Ich habe ein paar Vorschläge gemacht, wie man vielleicht vorankommen kann bei diesen Fällen. Mein Kollege hat mir mitgeteilt, dass er diese Vorschläge weiterleiten wird.“ Cavusoglu lässt da allerdings wenig Hoffnung aufkommen. Er äußert zwar Verständnis dafür, dass der Fall Yücel für Deutschland sehr wichtig sei. „Aber eines steht fest, und das weiß Deutschland nur zu gut: Bei den Anschuldigungen bezüglich Yücel geht es nicht um Journalismus, sondern um Terror.“