SPD straft Nahles und die Vize-Riege bei Wiederwahl ab
Leipzig (dpa) - Die SPD-Basis schickt ihre Parteispitze mit einem deutlichen Denkzettel in die Schlussphase der Verhandlungen über eine große Koalition. Bei den Vorstandswahlen auf dem Parteitag in Leipzig musste fast die komplette Führung teils deutliche Stimmenverluste hinnehmen.
Nach Parteichef Sigmar Gabriel erlitten am Freitag vor allem Generalsekretärin Andrea Nahles und Vizechef Olaf Scholz mit Wahlergebnissen von nur 67 Prozent bittere Schlappen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und stellvertretende Parteivorsitzende Hannelore Kraft sackte von 97,2 auf 85,6 Prozent ab. Mehrere Landesvorsitzende benötigten zwei Wahlgänge und eine Intervention Gabriels, um in den Vorstand zu kommen.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Delegierten, trotz der Vorbehalte gegen ein Bündnis mit der Union nicht vor der Regierungsverantwortung zurückzuschrecken. „Wir dürfen nie Angst vor der Verantwortung und nie Angst vor dem eigenen Versagen haben“, sagte er. Gleichzeitig betonte er, dass es keine Koalition um jeden Preis geben werde. „Jeder weiß: Wir sind da längst nicht durch.“ Die Entscheidung über eine große Koalition müsse in dem geplanten Mitgliederentscheid auf Grundlage der Inhalte getroffen werden. Die „Verärgerung und Verbitterung über ein Wahlergebnis“ dürfe kein Maßstab sein.
Die SPD hatte bei der Bundestagswahl mit 25,7 Prozent ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegszeit erzielt. Seit drei Wochen verhandelt sie mit der Union über die Bildung einer großen Koalition, die an der SPD-Basis hoch umstritten ist. In den wichtigsten Punkten sind sich beide Seiten noch nicht einig geworden.
Mit dem besten Wahlergebnis der fünf Stellvertreter von 88,9 Prozent rückte der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel in die engere Parteiführung auf. Der 44-Jährige ersetzt Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der nicht mehr kandidierte. Gefeiert wurde in Leipzig der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Mit 97,9 Prozent wurde er als Beauftragter des SPD-Vorstands für die Europäische Union wiedergewählt.
Die schlechten Wahlergebnisse der Parteiführung sieht Schulz nicht als Belastung für die Koalitionsverhandlungen mit der Union. „Ich glaube, der Parteitag ist für die Verhandler eine Ermahnung, aber auch eine Bestärkung“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Es gehe jetzt noch mehr darum, möglichst viele SPD-Forderungen in den Verhandlungen durchzusetzen.
Neben Scholz, Kraft und Schäfer-Gümbel wurden die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz (79,9 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (80,1) zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Schatzmeisterin Barbara Hendricks wurde mit 79,5 Prozent der Delegiertenstimmen im Amt bestätigt. Alle drei verschlechterten ihre Wahlergebnisse von 2011.
Auch Nahles sackte ab - von 73,2 auf 67,2 Prozent; Hamburgs Regierungschef Scholz - einer der stärksten Befürworter der großen Koalition - sogar von 84,9 Prozent auf 67,3. Hendricks kritisierte die Delegierten für die mangelnde Unterstützung für Nahles. „So hättet ihr mit Andrea nicht umgehen sollen“, sagte sie. Bereits am Donnerstag war Parteichef Gabriel mit seinem bisher schlechtesten Wert von 83,6 Prozent im Amt bestätigt worden.
Sieben Landeschefs benötigten zwei Wahlgänge, um in den Vorstand zu kommen: Ralf Stegner (Schleswig-Holstein), Jan Stöß (Berlin), Christoph Matschie (Thüringen), Katrin Budde (Sachsen-Anhalt), Florian Pronold (Bayern), Heiko Maas (Saarland) und Dietmar Woidke (Brandenburg). Im ersten Wahlgang wurden vor allem Vertreter aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gewählt. Stegner kritisierte das Vorgehen. „Es ist nicht normal, dass große Landesverbände in dieser Härte im ersten Wahlgang ihre Mehrheiten nutzen“, sagte er der dpa.
Inhaltlich setzten sich die Delegierten mit der Verabschiedung eines Antrags für eine humanere Flüchtlings- und Asylpolitik in Europa ein. Bei nur einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen hatten sie bereits am Donnerstag auch einen Leitantrag beschlossen, der ab 2017 erstmals ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene als Option vorsieht. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner nannte den Schritt „irritierend“. „Das ist so, als ob ein Partner kurz vor der Hochzeit noch rasch eine Kontaktanzeige aufgibt“, sagte sie der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“. Die SPD solle lieber gleich sagen, „ob sie die große Koalition aus taktischen Gründen gar nicht will“.