Porträt Stephan Weil: Langläufer mit Kondition schafft Kehrtwende

Hannover (dpa) - Als Stephan Weil nach der ersten Hochrechnung der frenetische Applaus im SPD-Fraktionssaal entgegenbrandet, reagiert Niedersachsens Ministerpräsident zunächst mit der ihm typischen Nüchternheit und Zurückhaltung.

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Noch könne er kein Wahlergebnis kommentieren, noch gelte es den Ball flach zu halten. Dann aber brechen Begeisterung und Emotion aus ihm heraus, wie man sie lange nicht bei ihm kannte und wie sie ihm auch als Wahlkämpfer einen ungeahnten Schub gaben. Ein großartiger Abend sei dies für die niedersächsische SPD, eine beispiellose Aufholjagd, die die SPD seit knapp zwei Jahrzehnten wieder zur stärksten Fraktion im hannoverschen Landtag gemacht und weit vor die SPD-Durchschnittswerte im Bund katapultiert habe.

Und dann schimmert bereits der Weil durch, den mancher hinter seiner spröden - Kritiker sagen auch langweiligen - Fassade übersehen, der entschlossen aber ohne großen Wirbel handelnde Politiker. Wie es aussieht, habe die SPD nun einen klaren Regierungsauftrag, umschreibt der 58-Jährige seinen Machtanspruch und definiert die vor ihm liegende Arbeit der kommenden Tage und Wochen als eine „Regierungsbildung, die nicht ganz einfach wird“. Neben den bislang mitregierenden Grünen wird es möglicherweise gelten, einen weiteren Partner zu gewinnen.

Im zurückliegenden Wahlkampf hatte Weil Langläufer-Qualitäten bewiesen, über die er nicht nur als Freizeit-Jogger im Stadtwald von Hannover verfügt. Ruhe bewahren und das Ziel im Blick behalten, auch wenn die Strecke holprig ist, lautete seine Devise.

Zwölf Prozent groß sei der Vorsprung der CDU vor zweieinhalb Monaten gewesen: Weil erinnert vor dem jubelndem Parteipublikum an den Verlust der Regierungsmehrheit wegen einer abtrünnigen Grünen-Abgeordneten. Anschuldigungen und harte Kontroversen bestimmten den vorgezogenen Wahlkampf. „Wer durch solche Täler geht und immer wieder aufsteht, hat eine Charakterprobe bestanden“, lobt Weil seine unermüdlichen Wahlkampfhelfer - die Analyse trifft aber ebenso auf ihn selber zu.

Neben der Regierungsbildung in Niedersachsen erwartet Weil sicherlich eine gewichtigere Rolle in der SPD auf Bundesebene. Nach Wahlschlappen in Serie gelang ihm die für die Sozialdemokraten so ersehnte Kehrtwende in einem Bundesland, das weder SPD noch CDU traditionell für sich beanspruchen können. In einer künftigen Rolle als Hoffnungsträger wird von Weil aber sicher auch mehr Initiative auf dem Bundesparkett verlangt, als er bisher an den Tag legte.

Auf eine jahrzehntelange Erfahrung als Landespolitiker kann Weil dafür nicht bauen. Bis zur gewonnenen Landtagswahl 2013 war Weil Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, für die er zunächst als Kämmerer arbeitete. Der in Hamburg geborene Sohn schlesischer Flüchtlinge studierte Jura und arbeitete als Anwalt, Richter und Staatsanwalt. SPD-Mitglied ist er seit drei Jahrzehnten. Sein Förderer und Vorbild, Altkanzler Gerhard Schröder, sagte Weil eine bundespolitische Karriere voraus. Die Tür dazu steht ihm nun offen.