Besuch in der Türkei Szenen einer erkalteten Freundschaft
Ankara (dpa) - Viel Zeit bleibt Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht, um den Moment zu genießen. Nur wenige Stunden nachdem ihn die Spitzen von Union und SPD zu ihrem Wunschkandidaten für das Schloss Bellevue gekürt haben, steht er in Ankara neben dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
Der zieht nach ihrem Vier-Augen-Gespräch ein grimmiges Gesicht. Auch bei Steinmeier hängen die Mundwinkel ungewohnt tief. Er ist nach dem Putschversuch vom Juli nicht in der Türkei gewesen. Seitdem hat sich dieses Land verändert.
Wo früher sehr auf die Reaktion des Westens geschielt wurde, wird jetzt einfach durchregiert. Präsident Recep Tayyip Erdogan denkt inzwischen laut über die Einführung der Todesstrafe nach. Als sich der EU-Parlamentsvorsitzende Martin Schulz kritisch dazu äußert, reagiert Erdogan unwirsch. An die Adresse des SPD-Politikers sagt er: „Wer bist denn Du?“ Kein guter Start, falls Schulz tatsächlich im Frühjahr deutscher Außenminister werden sollte.
Steinmeier und Cavusoglu haben über fehlende Pressefreiheit gesprochen und über die Entlassung von Zehntausenden Beamten. „Wir haben unterschiedliche Positionen ausgetauscht“, bilanziert Steinmeier nach dem Gespräch. Zieht man die diplomatische Höflichkeit ab, bedeutet das: Ich habe meine Kritik vorgebracht, bin aber auf taube Ohren gestoßen.
Cavusoglu macht es Steinmeier aber auch nicht leicht. Er verteidigt den Vorschlag von Staatschef Erdogan, das Parlament über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen, damit die Putschisten hingerichtet werden können. „Das Volk will die Todesstrafe und meine Frau auch“, sagt Cavusoglu. In Deutschland nennt man so etwas Populismus. In der Türkei nicht.
Den Kontakt nicht ganz abreißen lassen - das war das Mindeste, was Steinmeier mit dieser Reise nach Ankara erreichen wollte. Das, „was sich eingetrübt hat“ im deutsch-türkischen Verhältnis zu überwinden, wäre schön gewesen. Doch so weit kommt es nicht.
Der Empfang für Steinmeier, der nach seiner Nominierung am Vortag in bester Laune angereist war, ist von Anfang an nicht sehr herzlich. Auf dem Rollfeld vor der deutschen Regierungsmaschine wartet in der Nacht keine Limousine auf den Minister, sondern ein Bus. Die Begrüßung übernimmt der stellvertretende Gouverneur von Ankara. Für Steinmeier, der keinen Wert auf Pomp legt, ist das zwar nicht schlimm. Doch aus türkischer Sicht ist es schon ein Signal. Die Beziehungen sind frostig, die Armenier-Resolution des Bundestages und das deutsche Schweigen in der Putsch-Nacht noch nicht vergessen. Auch dass die EU-Visumfreiheit für türkische Staatsbürger auf sich warten lässt, ärgert die Führung in Ankara - obwohl sie Deutschland in dieser Frage nicht als Hauptschuldigen sieht.
Steinmeier hat gesagt, die Türkei müsse sich entscheiden, ob sie näher an Europa heranrücken wolle oder ob sie sich weiter entfernt. Will sie mehr Demokratie oder fällt sie zurück in einen autoritären Regierungsstil? Wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, ist für Deutschland nicht nur wichtig, weil die Türkei Flüchtlinge an der Weiterreise in die EU hindert. Türkeipolitik hat in Deutschland immer auch eine innenpolitische Seite. Schließlich leben etwa drei Millionen Menschen in Deutschland, die ihre Wurzeln in dem Land haben. Viele von ihnen fühlen sich der alten Heimat noch sehr verbunden.
Der Putschversuch, die Massenverhaftungen, die Einstufung der Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen als „Terroristen“ und die Angriffe in den Kurdengebieten - all das hat auch unter den in Deutschland lebenden Türken und Kurden zu Spannungen geführt, die in Einzelfällen auch schon in Gewalt umgeschlagen sind.
Ziya Pir lebte früher auch in Duisburg. Jetzt ist der Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP in der Türkei. Er hat zwei Pässe. „Momentan darf ich das Land nicht verlassen“, sagt er. Er und seine Fraktionskollegen schildern Steinmeier hinter geschlossenen Türen ihre Nöte. Die Parteispitze sitzt in Haft. Pir ist gegen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Denn damit würde man nicht Regierung und Präsident, sondern „die Bevölkerung sanktionieren“.