Teure AKW-Nachrüstung droht - Grünen-Hoch vor Wahlen
Berlin (dpa) - Nach dem Abschalten aller alten Atomkraftwerke lassen drohende Milliardenkosten für mehr Sicherheit die Zukunft der Meiler ungewisser denn je erscheinen.
Die Grünen legen angesichts der Atomdebatte und des drohenden Atom-GAUs in Japan in Umfragen kräftig zu und fordern einen Atomausstieg bis 2017. Gut eine Woche vor den Landtagswahlen im CDU-Stammland Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz stehen die Zeichen auf Rot-Grün in beiden Ländern.
Rund 37 Jahre nach seinem Start wurde auch das älteste deutsche AKW Biblis A in Hessen vom Netz genommen. Jetzt rollen auf die Atomkonzerne womöglich Milliardenkosten für Nachrüstungen zu. Drastische Verschärfungen der Sicherheitsnormen für alle 17 AKW sieht eine Ideensammlung aus dem Umweltressort vor. Sie seien nach Angaben aus Betreiberkreisen so hoch, dass allen AKW die Abschaltung drohe, berichtete das ARD-Magazin „Kontraste“.
Die Sicherheitsüberlegungen seien noch nicht abgeschlossen, sagte Ministeriumssprecherin Christiane Schwarte in Berlin. Das Papier nannte sie eine „Auflistung dessen, was theoretisch denkbar wäre“. Dabei geht es um Sicherheit auch bei Hochwasser und Erdbeben, Stromausfall und Flugzeugabstürzen. Notstromanlagen und Leitungen müssten unverzüglich verbunkert werden.
Schon in der Vergangenheit hatte es im Umweltressort Listen mit Vorschlägen zur Nachrüstung für rund 50 Milliarden Euro gegeben. Sie wurden nicht umgesetzt. Angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima wollen die Grünen einen Atomausstieg bis 2017. Das geht aus einem Antrag für den kleinen Parteitag der Grünen am Samstag in Mainz hervor. „Was wir jetzt brauchen, ist ein schnelles und entschlossenes Handeln. Abwarten und prüfen reicht nicht“, heißt es darin.
Die Grünen fordern, dass die Regierung alle sieben ältesten AKW „und das Pannen-AKW Krümmel sofort und endgültig vom Netz nimmt“. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode aussteigen.“ Der frühere rot-grüne Atomausstieg sah als Enddatum 2022 vor. Mit der Laufzeitverlängerung von Union und FDP, die diese Entscheidung 2010 aufhob, würde der letzte Meiler nach jetzigem Stand bis mindestens 2036 laufen - aber auch die Koalition ist ins Grübeln gekommen.
Mit Biblis A nimmt der Energiekonzern RWE das letzte der vom dreimonatigen Atom-Moratorium der Regierung betroffenen AKW vom Netz. Auch der Eon-Meiler Unterweser in Niedersachsen wurde stillgelegt. Der Atom-Chef von RWE Power, Gerd Jäger, setzt auf ein neuerliches Hochfahren von Biblis A. „Ich hoffe, dass das so ist“, sagte er der dpa. „Die Kernkraftwerke sind sicher.“ Politiker der schwarz-gelben Koalition in Hessen halten aber das endgültige Ende beider Biblis-Blöcke für wahrscheinlich.
Im Zuge der Atomdebatte und angesichts bedrückender Meldungen aus Fukushima erlebten die Grünen eine Woche vor den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen neuen Höhenflug. Im Südwesten könnte der Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann aktuellen Umfragen zufolge Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) aus dem Amt jagen. Damit könnte die CDU unter Angela Merkel die Macht in einem Stammland nach fast 60 Jahren verlieren.
Laut ARD-„Deutschlandtrend“ kommen die Grünen in Baden-Württemberg auf 24 (plus 3), die SPD unverändert auf 22 Prozent. Die CDU erreicht 39 Prozent (minus 3), die FDP 5,5 (minus 0,5). Das ZDF-Politbarometer sieht die Grünen bei 25 Prozent, die SPD bei 22,5, die CDU bei 38 und die FDP bei 5 Prozent.
In Rheinland-Pfalz liefern sich CDU und die SPD unter Kurt Beck laut ARD mit jeweils 36 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die bislang nicht im Landtag vertretenen Grünen verbesserten sich um 3 Punkte auf 13 Prozent, die FDP muss mit 5 Prozent um den Wiedereinzug ins Parlament zittern. Im Politbarometer liegt die SPD mit 37 Prozent zwei Punkte vor der CDU. Auswirkungen der Atomdebatte auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt an diesem Sonntag sind unklar.
Bundesweit legten die Grünen im ARD-„Deutschlandtrend“ um fünf Punkte zu. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, kämen sie auf 20 Prozent. Nach der Umfrage von Infratest dimap halten gut zwei Drittel der Bürger (68 Prozent) das Aussetzen der Laufzeitverlängerung für ein Wahlkampfmanöver der Koalition. Die Wähler in den Ländern stuften das Thema Atomkraft als besonders wichtig ein.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärten die Landtagswahlen zur Abstimmung über Atomausstieg und Energiewende. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warf ihnen Missbrauch der Folgen von Japan vor.
Der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident Beck forderte im Bundesrat einen Pakt aller Parteien zur Zukunft der Atomkraftwerke. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, nach drei Monaten würden Schlussfolgerungen aus den Sicherheitsprüfungen gezogen: „Wir wollen und können die Dinge nicht auf die lange Bank schieben.“