Türkischer Botschafter zum NSU-Prozess: „Ich werde da sein“

Berlin (dpa) - Die Mordserie der Neonazi-Gruppierung NSU hat bei Türken alte Ängste vor ausländerfeindlichen Deutschen geweckt.

Jetzt lässt der Ärger um die Platzvergabe beim bevorstehenden Prozess viele vermuten, dass es Deutschland mit der Aufarbeitung der Verbrechen nicht ernst nehmen könnte. Der türkische Botschafter in Deutschland, Avni Karslioglu, erläutert in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) die Beweggründe seiner Landsleute.

Herr Botschafter, vor dem Prozessbeginn am 17. April gibt es viel Kritik am Münchner Oberlandesgericht. Bislang hat kein einziger türkischer Journalist dort mit Sicherheit einen Platz und auch Sie nicht. Haben Sie Vertrauen in die Arbeit der deutschen Justiz?

Karslioglu: „Wir vertrauen der deutschen Justiz voll. Sie ist selbstverständlich unabhängig. Aber auf der anderen Seite hat solch ein Gericht auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Prozess ist auch dazu da, den Menschen wieder Vertrauen zu geben. Sie wollen erfahren, was wirklich passiert ist. Deshalb könnte sich das Gericht bei Fragen, die auch die Presse betreffen, ein bisschen sensibler verhalten.“

Was meinen Sie damit?

Karslioglu: „Die Information, dass es jetzt Plätze gibt, ging bei Gericht morgens um 8.56 Uhr heraus. Niemand wusste im Vorfeld, wann genau die Akkreditierung beginnt. Nicht jeder wartet vor dem Computer. Und nach nicht einmal drei Stunden war der letzte Platz weg.“

Was hätte man anders machen können?

Karslioglu: „Zum Beispiel hätte man sagen können, dass die türkischen Medien soundsoviel Plätze kriegen und sich dann untereinander einigen.“

War das Gedankenlosigkeit oder böse Absicht?

Karslioglu: „Ich will da keinerlei Vorwürfe erheben. Es ist so geworden, wie es ist. Warum, weiß ich nicht. Aber letztlich hat diese ganze Diskussion den eigentlichen Prozess etwas in den Hintergrund gestellt.“

Und Sie selbst? Werden Sie nun dabei sein?

Karslioglu: „Diese Entscheidung liegt letztendlich beim Gericht. Ich gebe nur zu bedenken: In Deutschland hat eine Terrorzelle aus Neonazis eine grausame Mordserie begangen, und die Opfer waren fast alle Türken. Die Hinterbliebenen gehen nun einen schweren Gang. Als Botschafter ist es meine Pflicht, sie zu begleiten. Und ja, ich werde da sein.“

Das heißt, Sie haben nun doch einen garantierten Platz?

Karslioglu: „Ich werde dort sein. Das ist es, was zählt. Wenn ich im späteren Verlauf nicht dort sein kann, wird der Generalkonsul oder ein Vertreter des Konsulats den Prozess verfolgen.“

Mal abgesehen vom NSU-Prozess: In jüngster Zeit gab es aus der Türkei auch Vorwürfe, dass die deutschen Ermittlungsbehörden bei Bränden mit türkischen Opfern vorschnell einen fremdenfeindlichen Grund ausschließen ...

Karslioglu: „Wir haben großes Vertrauen in die deutschen Behörden. Aber es gab auch Fälle, wo gleich nach einem Brand oder eben einem Mord gesagt wurde, dass die Tat keinen rassistischen Hintergrund hat. Das hat meine Landsleute irritiert, gerade die Opfer. Woher will man das sofort wissen? Mag sein, dass ein Brand durch Unachtsamkeit ausgelöst wurde, durch einen technischen Defekt oder dass es Versicherungsbetrug war. Aber vielleicht war es eben auch eine fremdenfeindliche Tat. Kann alles sein. Und es geht nicht, dass das man die eine Möglichkeit von vornherein wegräumt."

In Großbritannien geht man in solchen Fällen automatisch von einem rassistischen Hintergrund aus. Soll das in Deutschland auch so sein?

Karslioglu: „Nicht unbedingt. Aber alle Richtungen müssen kriminaltechnisch gleichermaßen durchforscht werden. Erst dann kann man ein Ergebnis haben.“

Woran liegt es eigentlich, dass sich Türken in Deutschland unsicher fühlen?

Karslioglu: „Die Migranten in Deutschland haben ein Trauma erlebt durch die Brandanschläge der Vergangenheit - wie in Mölln, Solingen oder Hoyerswerda. Nun kamen die NSU-Morde. Die wurden anfangs als „Döner-Morde“ abgestempelt, die Angehörigen wurden verdächtigt. Erst spät kam heraus, dass es rassistische Serienmorde waren. Dieses Trauma muss bewältigt werden. Dafür brauchen wir eine bessere Verständigung und einen anderen Umgang in der Gesellschaft.“

Wie stellen Sie sich das vor?

Karslioglu: „Deutschland muss eine Willkommenskultur entwickeln wie in den USA, England oder Australien. Es gibt zwar sehr viele Migranten, die sich eingelebt haben, die sich in Deutschland heimisch und sicher fühlen. Aber einigen geht es auch anders. Da wirkt etwa die deutsche Praxis hinsichtlich der Doppelstaatsbürgerschaft bei vielen türkischstämmigen Menschen befremdlich. Zum Beispiel müssen sich junge Leute für eine Staatsbürgerschaft entscheiden, während viele ihrer anderen ausländischen Freunde beide Pässe behalten dürfen. Wie sollen sie sich dann hier willkommen fühlen? Deutschland braucht diese Menschen, auch für seine Zukunft, beispielsweise für den Arbeitsmarkt. Da braucht es ein Umdenken.“