Um der Menschen willen: Kirchen fordern Eingreifen im Irak
Berlin (dpa) - Die Zeiten, als Margot Käßmann sich kritisch zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan äußerte oder deutsche Waffenexporte anprangerte, wirken wie verflogen.
Angesichts der Schrecken, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien verbreitet, fordern die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wie auch die Deutsche Bischofskonferenz einen Militäreinsatz gegen die Barbarei und begrüßen das Bereitstellen von Waffen. Für die Kirchen, die sonst eher Frieden und Gewaltverzicht predigen, sei dies kein Paradigmenwechsel, betonen leitende Geistliche. Der Griff zu den Waffen soll humanitäre Hilfe vielmehr erst ermöglichen.
„Neben der pazifistischen Grundhaltung unserer Kirche gibt es auch eine breite Tradition, die besagt, dass Gewaltverzicht für die eigene Person möglich ist, sich die Fragen aber anders stellen, wenn es um politische Verantwortung geht“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider der dpa. Als Schutzpflicht gebe es aus Sicht der Kirche die Möglichkeit, mit Gewalt der Gewalt entgegenzutreten. „Es gibt kein Gebot Jesu, dass wir zusehen müssen, wie andere unter Gewalt und Terror leiden.“ Bei den Waffenlieferungen in den Irak handele es sich nicht um die sonst kritisierten Exporte sondern um eine Hilfe, die humanitäre Hilfe absichern solle, sagte der EKD-Chef.
Frieden schaffen, wenn möglich ohne Waffen, als letztes Mittel aber auch mit Gewalt, diese Linie skizzierte auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick jetzt auf der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda. Die Einsicht, dass Frieden nicht das Ergebnis eines Waffengangs sein könne, entbinde nicht von der Pflicht zum Widerstand gegen die entfesselte Gewalt in Syrien und im Irak. „Der begrenzte Einsatz von Gewalt erscheint uns in diesem Falle vertretbar und auch geboten, solange eine andere plausible Strategie nicht erkennbar ist“, sagte Schick. Militärische und andere Maßnahmen müssten vor allem die Belange der Flüchtlinge im Blick haben.
Dass auch Christen notfalls in der Pflicht stehen könnten, zu den Waffen zu greifen, predigte erst in der vergangenen Woche der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck vor Soldaten in Cloppenburg. „Wo dieses Recht auf Leben genommen wird und der Mensch sich selbst nicht mehr verteidigen kann, muss und soll ein anderer ihm zur Hilfe eilen, im äußersten Fall auch, in der Regel als ein letztes Mittel, mit dem Einsatz von Gewalt.“ Ansonsten mache man sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. „Wie wir lernen, kann es Situationen geben, in denen man Terroristen nur mit Gewaltmitteln aufhalten kann.“
Früher war der Ruf nach Frieden leichter, räumen die beiden großen Kirchen ein. „War es in Zeiten der Friedensbewegung in Deutschland angesichts der damaligen politischen, militärischen und atomaren Bedrohungen in Europa die Idee, eine politische Lösung zu suchen, damit militärische Konflikte nicht eskalieren, stehen wir heute wieder neu vor der Herausforderung, Frieden durch Gerechtigkeit und auf der Basis von Recht zu schaffen“, sagte Overbeck.
Mit Sigurd Rink hat die evangelische Kirche unterdessen vor wenigen Tagen erstmals einen hauptamtlichen Militärbischof erhalten. Die Aufwertung des Amtes ist der steigenden Belastung wegen der Auslandseinsätze der Bundeswehr geschuldet. Außerdem will Rink eine neue Debatte über die Friedenspolitik der Kirche anstoßen. Angesichts der zahlreichen Krisen weltweit geht es darum, ob die zuletzt 2007 in einer „Friedensdenkschrift“ festgehaltene Position der Kirche „nachjustiert“ werden muss.
Dass es dabei nicht um eine Rückkehr zu einem auch von der Kirche legitimierten „gerechten Krieg“ gehen kann, hatte der Ratsvorsitzende Schneider bereits Anfang des Jahres formuliert. „Wir reden nicht mehr vom gerechten Krieg, wir reden vom gerechten Frieden“, hatte er mit Blick auf Afghanistan gesagt.