SPD feiert Kanzlerkandidaten Wahlkämpfer in Vollzeit: Schulz und die schönen Zahlen
Berlin (dpa) - Würselen, Europa, die Welt, alles hängt mit allem zusammen. Findet jedenfalls Martin Schulz, der die Kisten in Brüssel gepackt hat und nun bundesdeutschen Wahlkampf für die SPD in Vollzeit macht.
„Ich verabschiede mich heute nicht von Europa. Genauso wenig wende ich mich morgen erst deutscher Innenpolitik zu. Es gehört alles zusammen“, philosophiert der ehemalige EU-Parlamentspräsident, der kommende Woche offiziell mandatslos wird, im März den SPD-Vorsitz übernimmt und von seiner Heimat Würselen aus das Kanzleramt erobern will.
Schulz' Zwischenbilanz lässt sich sehen, eineinhalb Wochen, nachdem Noch-Parteichef Sigmar Gabriel ihn zum neuen sozialdemokratischen Hoffnungsträger aufgerufen hat.
Erstens, Zahlen: In Umfragen klettert die SPD auf 26 bis 28 Prozent, nachdem sie monatelang bei knapp über 20 gedümpelt hatte. Kanzlerin Angela Merkel hat er im ARD-Deutschlandtrend überholt bei der Frage, wenn man direkt zum Kanzler wählen würde. 50 zu 34 Prozent, das ist überraschend deutlich.
Zweitens, Stimmung: Schulz wird an der Basis beklatscht, besungen („Der Schulzzug rollt“) und in den Himmel gelobt. Menschen treten in die SPD ein und sprechen darüber. Der erste Termin bei der Basis in Wanne-Eickel diese Woche lief reibungslos. Auch beim Straßenwahlkampf an der Saar feiern die Genossen Schulz am Freitag wie einen Popstar. Sein Großvater war Bergmann im Saarland, der Enkel verteilt rote Rosen. Am 26. März wird dort ein neuer Landtag gewählt - ein erster Test, ob Schulz die SPD auch an den Wahlurnen voran bringt.
Drittens, Inhalt: In Talkshows und Reden gelingt es dem Neuen, sich als Kämpfer für Gerechtigkeit zu positionieren - auch wenn er eigentlich nichts anderes sagt als Sigmar Gabriel vor ein paar Monaten, als der sich die SPD-Bühne für eine „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ mit der Ex-Putzfrau Susi Neumann geteilt hatte.
Klar, Hypes sind nicht von Dauer. Schulz selbst hat den Wahlkampf nun schon viele Male einen Langstreckenlauf genannt. Als es noch düsterer aussah in den Umfragen, wurde auch die SPD-Spitze nicht müde, Zahlen von 20 Prozent als „Momentaufnahmen“ herunterzuspielen. Wie nachhaltig ist also der Schulz-Effekt?
„Als neuer Mann bekommt er eine ganze Menge Vorschusslorbeeren“, sagt der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Zum Teil, weil Schulz eben nicht Merkel sei. Bisher habe er „eigentlich nur in Allgemeinplätzen“ geredet. „Je konkreter das wird, desto eher werden die Interessen bestimmter Bevölkerungsteile verletzt werden.“ Wie groß seine Chancen mit der SPD gegen Merkel und die CDU wirklich seien, wisse man in zwei oder drei Monaten.
Sollte das Schulz-Hoch sich verfestigen, ist das aber nicht nur für die Union ein Problem. Ein echtes Duell der Kanzlerkandidaten Merkel und Schulz würde die kleineren Parteien in den Hintergrund drängen. Schon jetzt nimmt Schulz ihnen Stimmen ab. Im Deutschlandtrend stehen Grüne und Linke nur noch bei acht Prozent, Insa hat für die „Bild“-Zeitung für beide Oppositionsparteien neun Prozent ermittelt.
„Die kleinen müssen jetzt schon dran denken, in den letzten Tagen vor der Wahl einen Knaller zu platzieren“, sagt Niedermayer. Sonst hätten sie es schwer, gehört zu werden. Ob Schulz wirklich auf Dauer Linken- und Grünen-Wähler abwerben könne, hänge aber von seinen Inhalten ab. Eigentlich ist Schulz innerhalb der SPD ein Konservativer und hatte mit Rot-Rot-Grün nichts am Hut - im EU-Parlament führte er eine Art informelle große Koalition.
Um nicht allzu viel an Schulz und die SPD zu verlieren, setzen Grüne und Linke auf Abgrenzung. Oskar Lafontaine etwa sieht „keine Möglichkeit der Zusammenarbeit“, solange SPD und Grüne nicht klar links abbiegen, wie der Fraktionschef der SPD im Saarland diese Woche erklärte. Grünen-Wahlkampfmanager und Politische Geschäftsführer Michael Kellner will das Thema Ökologie nach vorn stellen - „da fehlen der SPD ja die Ideen“, sagt er der dpa. „Und wir werden zeigen, dass die SPD Teil der großen Koalition ist, die Deutschland nur verwaltet.“
Gegen eine starke SPD haben die Grünen grundsätzlich nichts, Rot-Grün ist für die allermeisten in der Partei die Wunschkoalition. Aber davon sind die Umfragen weit entfernt - nicht mal Rot-Rot-Grün hätte mit 44 bis 45 Prozent rechnerisch eine Mehrheit.