Hintergrund Was Union und SPD wollen - und wer wo besser verhandelt hat

Berlin (dpa) - Steckt im Sondierungsergebnis von Union und SPD genug „Neuanfang“ für die Sozialdemokraten? Waren die SPD-Verhandler unter Parteichef Martin Schulz der Union bei den Sondierungen ausreichend gewachsen?

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Ein Überblick:

STEUERN: Die im SPD-Wahlprogramm versprochene Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent war mit der Union in den Sondierungen nicht anzupeilen, auch keine Reichensteuer. Dass der Solidaritätszuschlag abgebaut werden soll, sehen CDU, CSU und SPD als Erfolg. Das Festhalten an einem ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden schreiben sich CDU und CSU zugute. Die SPD reklamiert unter anderem das Ziel für sich, den Kampf gegen Steueroasen zu verstärken. Fazit: Plus für die Union.

INVESTITIONEN: Den Plan für 1,5 Millionen neue Wohnungen (zwei Milliarden für den sozialen Wohnungsbau), das geplante Programm für Ganztagsschulen (zwei Milliarden), Reform des Bafög (eine Milliarde), Kita-Förderung (3,5 Milliarden) und weitere Punkte verbuchen vor allem die Sozialdemokraten als Erfolg. Staatliche Investitionen sollen gefühlten und realen Ungerechtigkeiten entgegenwirken. Fazit: Eher ein Punkt für die SPD.

GESUNDHEIT: Die Verschmelzung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung scheiterte schon in den Sondierungen am Widerstand von CDU/CSU. Das damit verbundene Ziel lautete: Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“. Allerdings soll die Rückkehr zur Parität kommen - zur gleichen Finanzierung der Beiträge durch Arbeitgeber und -nehmer. Fazit: Gemessen an den großen SPD-Ankündigungen eher ein Kompromiss zugunsten der Union. Allerdings ist die Parität ein großer, seit Jahren erfolglos geforderter Schritt - wertet man die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung als Strategie, den zu erreichen, hätte sie gut verhandelt.

RENTE: Stabiles Rentenniveau bis 2025, eine von der Union geforderte Rentenkommission für die späteren Jahre, die Einführung der von der damaligen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) vorgeschlagenen Solidar- oder Grundrente, eine abgespeckte Ausweitung der von der CSU geforderten Mütterrente - alle können sich in den Plänen wiederfinden. Fazit: Grundrente für langjährige Geringverdiener und sicheres Rentenniveau waren Kernanliegen der SPD. Auch wenn die Niveau-Absicherung nicht so langfristig angelegt ist, wie von der SPD erhofft, trägt das Rentenkapitel ihre Handschrift.

ARBEIT: Das Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit soll kommen - das war allerdings auch schon für die vergangene Wahlperiode verabredet und scheiterte am Unionswiderstand. Ein sozialer, öffentlich geförderter Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose soll kommen - das wollte die SPD, aber auch die Union hatte Ähnliches im Programm. Nicht durchgesetzt haben sich die Sozialdemokraten mit der Forderung nach Abschaffung sachgrundloser Befristungen und gleicher Bezahlung vom ersten Tag bei Leiharbeit. Fazit: Wichtige Anliegen der SPD sind nicht in der Sondierungseinigung enthalten.

BILDUNG: Die SPD wollte das Verbot einer Einmischung des Bundes in die Schulpolitik der Länder kippen. Der Bund sollte Schulen systematisch mitfinanzieren dürfen. Übrig geblieben ist, dass der Bund nicht nur finanzschwachen, sondern allen Gemeinden im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur Finanzhilfen gewähren können soll. Umfassend soll er sich an der Bildungsfinanzierung der Länder beteiligen dürfen. Fazit: Ein Kompromiss zwischen Unions- und SPD-Seite mit Pluspunkten für die Sozialdemokraten.

MIGRATION: Der Zuzug von Flüchtlingen soll die Zahl von 180.000 bis 220.000 pro Jahr nicht überschreiten, der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt werden. Die CSU feiert dies als Erfolg - auch wenn dies keine starre Obergrenze von 200.000 bedeutet, wie sie die Bayern gerne gehabt hätten. Fazit: Hier konnten CDU und CSU Teile ihres eigenen mühsam ausgehandelten Kompromisses einbringen.

EUROPA: Die SPD schreibt sich auf die Fahnen, dass Schluss sein soll mit der Sparpolitik in Europa und deutliche soziale Akzente in der EU gesetzt werden sollen. Seit Langem dringen die Sozialdemokraten auf eine positive Antwort Deutschlands auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einer vertieften Eurozone und EU. Nun soll die Eurozone in enger Partnerschaft mit Frankreich gestärkt und reformiert werden. Fazit: Die SPD-Handschrift ist deutlich zu erkennen; allerdings ist auch das Kanzleramt nicht abgeneigt gewesen, positiv auf Macron zu reagieren.