Was will Seehofer - und wie positioniert sich Merkel?
München/Berlin (dpa) - Es scheint immer das gleiche Spiel zu sein: Erst kommt scharfe Kritik aus der CSU an der CDU. Anschließend wird betont, wie wichtig Sacharbeit sei.
So ist es auch am Dienstag, als CSU-Chef Horst Seehofer erst in der „Süddeutschen Zeitung“ den Flüchtlingskurs von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel für das Wahldebakel in Mecklenburg-Vorpommern verantwortlich macht. Kurz darauf verspricht er wieder „konstruktive Politik für Deutschland“.
Wichtige Fragen zur Krise in der Union:
Warum greifen Seehofer und andere CSU-Politiker Merkel an?
Die CSU hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mit der Ausrichtung der CDU unter Merkel in der politischen Mitte nicht einverstanden ist. Die CSU richtet sich immer noch nach Franz Josef Strauß: „Unser Anspruch ist, dass es rechts von der Union keinen Platz für eine weitere demokratisch legitimierte Partei geben darf.“ So steht es im Entwurf für das neue CSU-Grundsatzprogramm. Alles was aus Sicht der CSU diese Position gefährdet, wie die Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik, fördert umgehend Kritik zu Tage. Zu schaffen machen Seehofer & Co. die AfD-Erfolge. „Die Lage für die Union ist höchst bedrohlich“, konstatierte Seehofer deshalb nun in der „SZ“.
Was genau fordern Seehofer und die CSU jetzt von Merkel und der CDU?
Der CSU-Chef hat schon vor der Wahlniederlage der CDU in Merkels Heimat Mecklenburg-Vorpommern die Klärung der „brennenden Fragen“ innerhalb der Union gefordert: „Welche Antworten haben wir auf die Sicherheitsprobleme, auf die Wirtschaftsprobleme, auf die Zuwanderungsfrage, das Verhältnis zur Türkei, auf die Arbeit der Europäischen Union?“ Vor allem aber erwartet die CSU eine Kurskorrektur Merkels in der Flüchtlingspolitik, insbesondere eine Obergrenze. Da Merkel sich darauf aber kaum einlassen dürfte, hoffen sie in der CSU wenigstens auf ein klares Signal der Kanzlerin an die Bevölkerung nach dem Motto: „Wir haben verstanden.“ Neues Vertrauen gewinne man nur durch neue Politik, heißt es in der CSU-Spitze.
Was ist Seehofers Position zur politischen Zukunft von Merkel?
Er betont bei jeder Gelegenheit, dass Personalfragen in CSU und CDU erst nach der Klärung der inhaltlichen Probleme angegangen werden sollen. Dies hätten Merkel und er vor langer Zeit verabredet. Auch wenn Seehofer Merkels Kurs oft kritisiert hat, bleibe es Ziel, gemeinsam in den Wahlkampf zu gehen. Dies würde bedeuten, dass die CSU keinen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellt. Seehofer betonte aber auch, niemand sei „auf Gedeih und Verderb auf jemanden angewiesen“. Gleichwohl ist dies bislang die Gratwanderung, die er vollführen muss: einerseits Merkel nicht komplett beschädigen, andererseits sie so deutlich kritisieren, wie dies von der CSU-Basis erwartet wird.
Wann und wo wollen sich CDU und CSU über die Inhalte verständigen?
Ab Ende September wollen CDU und CSU auf sechs Kongressen gemeinsame Positionen bei strategisch wichtigen Themen suchen. Bis zum CDU-Parteitag Anfang Dezember dürften die Veranstaltungen beendet sein. In der CDU werden die Kongresse auch als „vertrauensbildende Maßnahmen“ gesehen. Der CSU-Vorstand trifft sich bereits an diesem Freitag und Samstag im oberpfälzischen Schwarzenfeld zur Klausur.
Sind Seehofers Aufforderungen zur Kurskorrektur tatsächlich nicht aufgenommen worden?
Selbst der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), sagt, Schwarz-Rot habe keine schlechte Politik gemacht. Union und SPD hätten in den vergangenen Monaten „im Stakkatostil“ das Zuwanderungs- und Migrationsrecht verändert. „Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung heute ist eine andere als vor zwölf Monaten.“ Dies sei aber zu wenig in der Bevölkerung wahrgenommen worden. Auch aus dem CDU-Teil der Fraktion heißt es, auf breiter Front seien gemeinsam Schlussfolgerungen aus der Flüchtlingskrise gezogen worden.
Wie reagiert die CDU auf Seehofers Attacken?
Zurückhaltend. Merkel und die CDU-Spitze wollen kein weiteres Öl ins Feuer gießen. Die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte nach Teilnehmerangaben in der Telefonschalte des CDU-Vorstands am Montag gewarnt, der Streit zwischen CDU und CSU habe zum Vertrauensverlust beigetragen. In der CDU-Spitze reagierte man mit einer gewissen Ratlosigkeit auf die jüngste Seehofer-Attacke. CDU-Generalsekretär Peter Tauber forderte die Schwesterpartei auf, Störfeuer einzustellen: Anhänger, Mitglieder und Wahlkämpfer „erwarten von der Union vor allem eines: Geschlossenheit“.
Wie geht es jetzt weiter?
Seehofer und Merkel betonen trotz aller Dissonanzen immer wieder, wie oft sie miteinander telefonieren würden. Auch Seehofer sieht dem Vernehmen nach derzeit keine Alternative zur Kanzlerkandidatur Merkels. An diesem Sonntag haben beide die Gelegenheit, von Angesicht zu Angesicht den Kurs für die kommenden Wochen abzustimmen: Vor dem Spitzentreffen von Merkel und Seehofer mit SPD-Chef Gabriel dürfte es wie üblich eine Vorbesprechung der Unionsseite geben. Wetten, dass die Union danach erstmal wieder Harmonie demonstriert?