Westerwelle will für die FDP „Neustart“ - aber wie?
Berlin (dpa) - Am Tag nach dem Debakel hat Guido Westerwelle die Bühne für sich allein. Niemand von der sonstigen Parteiprominenz steht dem FDP-Chef zur Seite, als er im Thomas-Dehler-Haus vor die Kameras muss.
Die Spitzenkandidaten aus Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz haben verzichtet. So wird noch ein wenig deutlicher, dass es bei der FDP jetzt nicht mehr nur um zwei dramatisch verlorene Landtagswahlen geht - sondern um Westerwelles politische Zukunft.
Die ersten Stunden nach dem Debakel übersteht der 49-Jährige aber ohne größere Probleme. Bis auf wenige Ausnahmen folgt ihm der Parteivorstand in der Strategie, alle möglichen Beschlüsse übers künftige Personal und den Kurs erst einmal zu vertagen. In Westerwelles eigenen Worten: „Wir werden jetzt einen geordneten und überlegten Diskussionsprozess in der FDP haben, um dann die Konsequenzen zu ziehen.“
Alle Fragen nach seiner persönlichen Zukunft blockt der Außenminister in der öffentlichen Auskunftrunde ab. Allenfalls die Feststellung, dass er seine Arbeit „mit großem Engagement“ und „viel Herzblut“ mache, lässt er sich entlocken. Erst am 11. April, wenn in Berlin die Spitzen von Bundespartei und Landesverbänden zusammenkommen, will er sich klarer äußern. Erst dann will er auch bekanntgeben, ob er beim Parteitag Mitte Mai wieder kandidiert.
Intern wurde Westerwelle nur wenig deutlicher. Im Vorstand sprach der Vizekanzler davon, dass die Partei jetzt einen „Neustart“ brauche. Was das konkret bedeuten soll, ließ er jedoch im Nebulösen. Damit ist er in der Partei jedoch keineswegs allein. „Wir brauchen politische und personelle Konsequenzen“, war der Tenor aller Stellungnahmen in der Berliner FDP-Zentrale. Viel mehr war nicht.
Am klarsten wurden noch Generalsekretär Christian Lindner und NRW-Landeschef Daniel Bahr, zwei aus der jüngeren Riege. Es werde einen offenen Diskussionsprozess über das künftige Spitzenteam geben - „unter Führung von Guido Westerwelle“, sagen sie. Ob das am Ende mit Westerwelle als Parteichef oder ohne ihn sein wird? Darauf will bei der FDP kaum noch einer Wetten entgegennehmen.
Für Westerwelle befindet sich die FDP lediglich in einem schweren Formtief. In Baden-Württemberg, wo die Landtagsfraktion nahezu halbiert wurde, sei es „so gerade noch gut gegangen“, weil die Partei nicht ganz aus dem Landtag geflogen ist. Trifft Westerwelle damit den Grundton der Partei? Sein Vorgänger Wolfgang Gerhardt sieht das jedenfalls ganz und gar nicht so.
In einer schriftlichen Erklärung schilderte er die FDP am Rand einer Existenzkrise und machte Westerwelles Führung dafür verantwortlich: „Es hat uns deshalb so schwer erwischt, weil wir seit geraumer Zeit Vertrauen, Ansehen und Sympathien verloren haben“ - schonungsloser kann ein FDP-Grande den Zustand kaum beschreiben.
Die Meinung wird inzwischen von vielen im FDP-Vorstand geteilt. Niemand will aber „Königsmörder“ sein. Nur Vorständler Alexander Pokorny traut sich in der Krisensitzung, Westerwelle direkt zum Rücktritt aufzufordern: „Sie haben nicht mehr die Kraft, die FDP nach vorne zu bringen.“ Die Reaktion im Saal ist Schweigen. Vor der Vorstandstür gibt es von einigen anerkennendes Nicken.
Die offene Personaldebatte rettet zunächst auch Rainer Brüderle und Birgit Homburger. Viele erwarten nun, dass die Nachwuchsgeneration um Lindner, Bahr und Philipp Rösler das Ruder übernehmen wird. Neuerdings wird auch darüber spekuliert, dass Rösler statt Brüderle Wirtschaftsminister und statt Westerwelle Parteichef werden könnte. Auch Lindner gilt - allen Dementis zum Trotz - als Nachfolge-Kandidat. Die Frage ist nur, ob die alte Garde um Brüderle die Macht abgeben wird.
Das Thema Atomausstieg könnte der Katalysator dieses Machtkampfs werden. Brüderle und Ex-Fraktionschef Hermann Otto Solms halten einen überstürzten Abschied von der Kernenergie für falsch. Die Jüngeren in der Partei wollen die Atomwende jetzt. Westerwelle hat sich in diesem Punkt noch nicht eindeutig festgelegt. Aber das ist keineswegs die einzige Frage, die er derzeit offen lässt.