2010: Rekord-Wachstum und Rekord-Staatsdefizit
Wiesbaden (dpa) - Die Wirtschaft ist 2010 so stark gewachsen wie noch nie im vereinten Deutschland. Getragen vom Exportboom und der anziehenden Binnennachfrage legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - im Vergleich zum Krisenjahr 2009 - real um 3,6 Prozent zu.
Doch die rasche Erholung hat ihren Preis: Erstmals seit fünf Jahren verstößt Deutschland wieder gegen die europäischen Defizitvorgaben. Das berichtete das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden.
„Die deutsche Wirtschaft hat 2010 einen rasanten Aufschwung erlebt. Sie hat sich erstaunlich gut und schnell von den Folgen der Wirtschaftskrise erholt“, sagte Bundesamts-Präsident Roderich Egeler. Der steile Absturz aus dem Jahr zuvor ist damit schon zu rund drei Viertel wettgemacht.
Die erfasste Wirtschaftsleistung von 2,498 Billionen Euro wurde von knapp 40,5 Millionen Erwerbstätigen erbracht. „So viele Erwerbstätige hat es in Deutschland noch nie gegeben“, sagte Egeler. Und sie hatten mehr Geld in der Tasche: Mit dem Ende der massenhaften Kurzarbeit stiegen die Nettoverdienste pro Arbeitnehmer um durchschnittlich 3,4 Prozent. Das verfügbare Einkommen der Haushalte erhöhte sich um 2,6 Prozent.
Der private Konsum werde in diesem Jahr eine noch stärkere Rolle spielen, meinte der Chef der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), Klaus Wübbenhorst. Er sei zuversichtlich, dass der private Konsum, der annähernd 60 Prozent des BIP ausmache, zur entscheidenden Stütze der Binnenkonjunktur werde und 2011 mindestens um 1 Prozent nach 0,5 Prozent im Jahr 2010 zulege.
Im vierten Quartal 2010 hat sich das Wachstum der Wirtschaft in Folge des harten Winters allerdings abgeschwächt. Es legte im Vergleich zum Vorquartal nach einer ersten Schätzung der Statistiker preis- und saisonbereinigt um 0,5 Prozent zu. Im dritten Quartal war die Wirtschaft dagegen noch um 0,7 Prozent gewachsen. Ohne den vergleichsweise frühen und kalten Winter wäre nach Angaben aus dem Amt ein Wachstum wie im Herbstquartal möglich gewesen.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zeigte sich nach den Zahlen optimistisch auch für 2011. „Besser als bei uns lief es in keinem anderen großen Industrieland“, erklärte er in Berlin. Deutschland sei doppelt so schnell gewachsen wie der Durchschnitt der Europäischen Union. „Die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Menschen zu Recht optimistisch in die Zukunft blicken.“ Das Land nehme Kurs auf Vollbeschäftigung.
Das Staatsdefizit Deutschlands allerdings kletterte 2010 wegen der Finanzkrise auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Insgesamt fehlten 88,57 Milliarden Euro nach 72,91 Milliarden Euro im Vorjahr. Das vorläufige Minus von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen fiel aber geringer aus als zunächst befürchtet. Im laufenden Jahr will die Regierung das Defizit wieder auf die im EU-Stabilitätspakt erlaubte Quote von 3,0 Prozent drücken. 2009 lag die Defizitquote exakt bei 3,0 Prozent. 2007 und 2008 gab es leichte Überschüsse mit Quoten von 0,3 beziehungsweise 0,1 Prozent des BIP.
Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) benötigte im vergangenen Jahr weniger neue Schulden als geplant. Die Nettokreditaufnahme des Bundes lag nach vorläufigen Berechnungen bei 44 Milliarden Euro. Sie fällt damit deutlich geringer aus als die anfangs veranschlagten 80 Milliarden Euro. Es ist aber immer noch die höchste Nettokreditaufnahme in der bundesdeutschen Geschichte.
Im Krisenjahr 2009 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,7 Prozent abgestürzt. Dies war der stärkste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Im bisher besten Jahr im vereinten Deutschland war die Wirtschaft im Boomjahr 2006 um 3,4 Prozent gewachsen. Mit dem Wachstum im vergangenen Jahr ist das Niveau vor der Finanzkrise noch nicht ganz wieder erreicht. Experten rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft diesen Schritt im laufenden Jahr schafft.
„Vom Horrorjahr zum Wunderjahr“, kommentierte Volkswirt Andreas Rees von der Unicredit-Bank die Zahlen. „Das ist das eindrucksvollste Comeback in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.“ Auch die Märkte kannten am Mittwoch zunächst nur die Richtung nach oben. Der Deutsche Aktienindex (DAX) kletterte bis zum späten Nachmittag um 1,5 Prozent und notierte damit wieder deutlich über der Marke von 7000 Punkten.