Atomausstieg bringt massiven Schaden für Versorger

Berlin (dpa) - Die beschleunigte Atom-Abkehr verursacht bei den deutschen AKW-Betreibern Vermögensschäden von bis zu 22 Milliarden Euro - das ist das Ergebnis einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Rund ein Viertel der Marktkapitalisierung von Eon und RWE gingen durch den Beschluss der schwarz-gelben Koalition verloren, bis 2022 alle Atommeiler abzuschalten und die ältesten Kernkraftwerke ab sofort endgültig vom Netz zu nehmen, schreiben die LBBW-Analysten in dem Papier, über das am Freitag auch das „Handelsblatt“ berichtete.

Die Aktien der beiden deutschen Versorger gingen auf Talfahrt: Eon büßte bis zum Nachmittag 1,7 Prozent ein, RWE sackte gar um 3,4 Prozent ab. Unterdessen verlangte der schwedische AKW-Betreiber Vattenfall eine Entschädigung für die Abschaltung seiner AKW vom deutschen Staat. Die Energieintensive Industrie sieht sich von möglichen weiteren Strompreiserhöhungen bedroht - sie drohte indirekt mit Abwanderung.

Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf ihre Geschäfte haben sich die meisten Energiekonzerne bislang noch nicht konkret geäußert. Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen hatte lediglich von einem Milliardenschaden durch den vorzeitigen Atomausstieg gesprochen. Hierfür fordert der Konzern von der Bundesregierung einen Ausgleich. Ein Wegfall der Brennelementesteuer, den die Branche erwartet hatte, hätte die Vermögensverluste um 5 bis 6 Prozent begrenzt. Eon hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, gegen die Abgabe zu klagen.

Nicht mehr zu halten seien die Prognosen der Unternehmen über die Gewinnentwicklung im laufenden Geschäftsjahr, hieß es in der LBBW-Studie weiter. Bei Eon dürfte das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) 1 Milliarde Euro, bei RWE um 0,7 Milliarden Euro niedriger ausfallen, schrieben die Autoren der Untersuchung. Die Unternehmen hatten bisher 10,7 Milliarden bis 11,4 Milliarden Euro (Eon) beziehungsweise rund 8,6 Milliarden Euro (RWE) prognostiziert.

Vattenfall will für das erzwungene Aus seiner deutschen AKW entschädigt werden. „Für uns könnte der deutsche Atomausstieg im Geschäftsjahr 2011 hunderte Millionen Euro Verlust bedeuten“, sagte Konzernchef Oystein Løseth der französischen Wirtschaftszeitung „Les Echos“ (Freitag). Die Schlüsselfrage für den Konzern sei daher, ob es eine Kompensation geben werde, und zwar „durch einen Transfer von Stromvolumen von sofort stillzulegenden AKW auf solche, die erst 2022 abgeschaltet werden sollen“. In den Ausbau der schwedischen Atomkraft werde Vattenfall weiter investieren.

Der zu 100 Prozent vom schwedischen Staat gehaltene Konzern besitzt in Deutschland die Mehrheit an den vom Netz genommenen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel und ist zu 20 Prozent am AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein beteiligt. Laut dem am Dienstag beschlossenen Atomausstieg soll Brokdorf etwa 2021 vom Netz gehen. Durch die laut Gesetzentwurf mögliche Reststrommengenübertragung von alten auf neue Atomkraftwerke könnten die verbleibenden neun AKW allesamt erst 2021 oder 2022 abgeschaltet werden.

Die Klage des Energieriesen Eon gegen die Brennelementesteuer sieht der Chef des schwedischen Energieriesen als richtigen Weg; sein Konzern will aber erst abwarten, was die Bundesregierung am Montag konkret vorschlagen will.

Die beschleunigte Energiewende ist nach Ansicht der Analysten der LBBW eine „harte Nuss“ für die AKW-Betreiber. Nur noch für eine zeitlich begrenzten Rahmen könnten die Versorger auf sprudelnde Gewinne ihrer Atomkraftwerke zugreifen. Der Ausstieg sei aber auch mit Chancen verbunden, die den finanziellen Schaden dämpften beziehungsweise kompensieren könnten.

Die energieintensive Industrie warnte angesichts des beschlossenen Atomausstiegs vor weiteren Strompreissteigerungen. Schon heute lägen die Strompreise für die Industrie in anderen Ländern Europas und der Welt weit unter denen in Deutschland, erklärte der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Hauptgeschäftsführerin Annette Loske sprach von einer realen Bedrohung für die Zukunft vieler effizienter Produktionen in Deutschland. Wettbewerbsfähige Strompreise seien unerlässlich für den Erhalt der energieintensiven Industrien am Standort.