Atomkatastrophe löst Kursstürze aus - Panik in Tokio
Frankfurt/London/Tokio (dpa) - Weltweit hat die Angst vor dem Atom-GAU in Japan die Märkte erfasst. Immer neue Hiobsbotschaften erschüttern das Vertrauen vor allem auch ausländischer Investoren. Die Börsenkurse kennen kein Halten mehr - in Tokio herrscht Panik.
Die Anleger reagierten mit Panikverkäufen auf die Eskalation des Atomunglücks - die japanische Börse erlebte ihren höchsten Kursverlust seit dem Höhepunkt der Finanzkrise vor zweieinhalb Jahren. Der Leitindex fiel zeitweise um mehr als 14 Prozent. Seit dem Erdbeben wurden bislang mehr als 700 Milliarden Dollar (530 Mrd Euro) an Werten an der Tokioter Börse vernichtet. In Deutschland stürzte der Aktienmarkt mit einem Minus von mehr als 5 Prozent in der Spitze auf den tiefsten Stand seit Oktober 2010.
Auch die Devisen- und Rentenmärkte wurden voll von den fast stündlich neuen Hiobsbotschaften aus Japan erfasst, viele Investoren suchten für Anlagen „sichere Häfen“ auf. Marktstratege David Buik von BG Partners sprach angesichts der bedrohlichen Lage in dem Atommeiler Fukushima Eins von einem „Anfall unkontrollierter Angst“ unter Anlegern.
Die allgemeine Unsicherheit führte zu hohen Zuflüssen in als sicher geltende Papiere wie deutsche und US-amerikanische Staatsanleihen. Auch am Devisenmarkt setzte eine Bewegung in „sichere Häfen“ wie den US-Dollar und den Schweizer Franken ein. Der Euro wurde umgekehrt belastet und gab zum Dollar zeitweise um mehr als einen Cent nach. Der Yen hält sich dagegen auf hohem Niveau.
Der Tokioter Leitindex Nikkei für 225 führende Werte rutschte am Dienstag im Tagesverlauf um 10,55 Prozent auf 8605,15 Punkte ab. Das war der größte Kursverlust seit Oktober 2008, kein einziger der 225 Nikkei-Werte schloss im Plus. Seit den jüngsten Höchstständen von Mitte Februar hat der Nikkei nunmehr knapp 21 Prozent verloren. Anleger hätten nahezu alles verkauft, was sich noch an Aktien in ihren Portfolios befunden habe, sagte Händler Chris Weston von IG Markets.
Die Aktien aller Branchen kamen regelrecht unter die Räder, nachdem am Vortag unter anderem die Bauwerte noch ein Kursplus verbucht hatten. Die Papiere des Autobauers Toyota zum Beispiel fielen um 7,40 Prozent auf 3065 Yen. Der Konzern stellt seine Produktion in allen japanischen Werken bis mindestens Mittwoch ein. Die Aktien von Tokyo Electric Power (Tepco) dem Betreiber der von der Katastrophe betroffenen Anlagen in Fukushima, und die Papiere von Toshiba, das einige Reaktoren des Kraftwerks produziert hat, wurden nicht gehandelt - es gab schlichtweg zu viele Verkäufer und so gut wie keine Interessenten.
Deutlicher als noch zum Wochenauftakt fiel auch das Minus an den europäischen Aktienmärkten aus. Der EuroStoxx 50 ging mit einem Minus von 2,38 Prozent bei 2784,20 Punkten aus dem Handel, erholte sich aber etwas von seinen Tiefstständen. Zwischenzeitlich stand der Leitindex so tief wie seit Dezember vergangenen Jahres nicht mehr. Auch die Kurse in Paris und London sackten ab.
Am Frankfurter Aktienmarkt reagierten die Anleger hochnervös. Das spiegelte sich in enormen Schwankungen der Kurse wider. Die Schwankungsbreite am deutschen Markt kletterte auf den höchsten Stand seit Mitte 2010, als die Schuldenkrise in der Eurozone die Märkte durcheinanderwirbelte. Am späten Nachmittag konnte der deutsche Leitindex Dax seine Verluste etwas eindämmen. Zum Handelsschluss verlor der Dax 3,19 Prozent auf 6647,66 Punkte. Der Dow-Jones-Index in New York lag zum europäischen Handelsschluss mit rund 1,5 Prozent im Minus.
Der Vertrauensverlust sei enorm angesichts der katastrophalen Probleme in mehreren japanischen Atomkraftwerken, hieß es von Analysten. Andere Experten wiederum bezeichneten die Kursverluste teilweise als übertrieben. Stratege Mikio Kumada von LGT Capital betonte, dass verlässliche Prognosen angesichts der nach wie vor ungeklärten Situation in den Kraftwerken schwer fielen. Nach derzeitiger Einschätzung sollten die Auswirkungen auf die Finanzmärkte eher kurzfristiger Natur sein. „Zu diesem Schluss kommt, wer die Börsenentwicklung nach vergangenen Naturkatastrophen analysiert“, sagte er.
Insgesamt dürfte der drohende Atom-GAU in Japan weltweit den Druck auf die Regierungen erhöhen, alternative Energien zügiger zu fördern, schrieb Analyst Ankit Jain von Standard & Poor's in einer Studie.
Die japanische Notenbank hat ihre Finanzspritzen abermals aufgestockt, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo nannte als Sofortmaßnahme der Notenbank eine Zahl von acht Billionen Yen (rund 70 Milliarden Euro). Am Montag hatte die Summe bei 15 Billionen Yen (rund 130 Milliarden Euro) gelegen. Damit hatten die Währungshüter so viel kurzfristige Mittel wie noch nie an einem Tag zur Verfügung gestellt, um das Finanzsystem zu stabilisieren.