Ganz ohne Atomkraft geht es noch nicht
Ökostrom kann nur schrittweise die Versorgung aus Kernkraftwerken ersetzen. Es fehlen vor allem Stromnetze.
Düsseldorf. Atomausstieg — am besten sofort! Angesichts der Katastrophe in Japan mehren sich Forderungen, möglichst schnell möglichst viele Atomkraftwerke abzuschalten. Doch Experten warnen: Ein kompletter Ausstieg von heute auf morgen ist nicht möglich. Zurzeit kommen 22,4 Prozent des hier produzierten Stroms aus Kernkraftwerken.
„Wir könnten auf 50 bis vielleicht 60 Prozent der Stromproduktion aus Atomkraft verzichten, ohne unsere Versorgung zu gefährden“, erläutert Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Dann müssten jedoch einige Gas- und Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen, die zurzeit nicht in Betrieb sind. Die Folge wäre ein höherer CO2-Ausstoß. Ohne Ersatz könnte man nach Einschätzung von Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bis zu fünf Reaktoren abschalten.
Die Bundesregierung nimmt nun die ältesten Meiler für mindestens drei Monate vom Netz. Das könnte nach Einschätzung von Experten zur Reaktivierung einiger alter Gas- und Kohlekraftwerke führen. Es drohen höhere Strompreise, da sie einen schlechteren Wirkungsgrad haben und daher teuren Strom produzieren.
„An der Strombörse dürfte das zu einem Preisanstieg führen“, sagt Fischedick. Wie hoch der ausfällt, hängt auch vom Wind ab: Bläst der stark, wird viel Strom eingespeist — das drückt die Preise.
Zudem ist unklar, ob die Versorger Preissteigerungen komplett an die Kunden weitergeben. Ein Anstieg um einen Cent pro Kilowattstunde gilt als möglich.
Aber könnte der Atomstrom nicht durch Ökostrom ersetzt werden? Mittelfristig ja, kurzfristig nein. Haupthindernis für einen noch schnelleren als bisher geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien sind die unzureichenden Stromnetze und Speicher für Strom aus Windkraft.
Schon heute gelangen die Netze an ihre Grenzen, wenn sehr viel Windstrom eingespeist wird. Dann müssen andere Kraftwerke schnell heruntergefahren werden, um das Netz nicht zu überlasten. Ein Ausbau ist unausweichlich, die Schätzungen der zusätzlich notwendigen Leitungen schwanken zwischen 1200 und 3600 Kilometern. Zudem ist Strom bisher kaum speicherbar, so dass Kraftwerksreserven gebraucht werden, wenn kein Wind bläst.
Mit dem richtigen Energiekonzept, da ist sich Manfred Fischedick sicher, würden die Stromkosten für die Verbraucher auf längere Sicht nicht steigen müssen. Denn Strom aus erneuerbaren Quellen sei langfristig günstiger als konventioneller. „Und vor allem könnten wir noch große Mengen Energie einsparen — die billigste aller Optionen.“