„Dann kipp’ ich die Milch aufs Feld“
Landwirtschaft: Wegen der vom Handel durchgedrückten Milchpreissenkungen drohen die Bauern nun mit Lieferboykott.
Meerbusch. Die Milchbauern in Deutschland sind sauer. Stocksauer. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner spricht von "Raubtier-Kapitalismus" und Missbrauch der Marktmacht", und der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) droht bereits offen mit Boykott.
Grund: Die führenden Discounter Aldi und Lidl sowie die Supermarktkette Rewe haben den Milchpreis von 71 auf 61 Cent pro Liter gesenkt, und auch der führende deutsche Lebensmittelhändler Edeka kündigt Milchpreis-Senkungen an.
Die Zeche sollen die kleinen Milch-Erzeuger zahlen - wie der Meerbuscher Milchbauer Heinz Davids (41). Doch der will sich nicht mit den erzwungenen Tiefpreisen abfinden: "Wenn sich diese Preise durchsetzen, weiß ich nicht mehr, wie ich meinen Hof halten und meine Familie ernähren soll."
Im Winter hat er noch 40Cent pro Liter bekommen, heute sind es 34 Cent - und ein Absinken der Preise bis auf die 26-Cent-Marke ist nur eine Frage der Zeit. "Für so wenig Geld kann ich nicht produzieren", sagt Davids. Deshalb hat er sich - wie 88Prozent aller BDM-Mitglieder - bei einer Abstimmung für einen Lieferboykott ausgesprochen.
Der BDM vertritt mehr als 28.000 Mitglieder, die wiederum 45 Prozent der deutschen Milchproduktion repräsentieren. In NRW liegt der Mitgliederanteil sogar bei mehr als 60Prozent. Ein Lieferstopp würde daher schnell Auswirkungen zeigen. "Ein typisches regionales Milchlager fasst Vorräte für anderthalb Tage", sagt BDM-Geschäftsführer Thorsten Sehm. "Die Supermarktregale wären schnell leer."
Doch was passiert mit der Milch, die die Kühe ungeachtet jeden Streiks weiterproduzieren? Davids bitter: "Dann kipp’ ich die Milch als Gülle aufs Feld." Juristisch dürfte dagegen nichts einzuwenden sein.
Eine andere Frage ist, inwieweit ein Boykott gegen die mit den Molkereien geschlossenen Lieferverträge verstößt. Doch solche Fragen interessieren die Milchbauern derzeit nicht. Sie plagen Existenz-Sorgen. Davids: "Alle Betriebskosten sind enorm gestiegen, gleichzeitig sollen wir weniger einnehmen - das kann nicht funktionieren."
Die Zahlen geben ihm Recht: Mit gut 100 Hektar Fläche und 90 Milchkühen ist Davids’ Birkenhof etwas größer als der Durchschnitt der 8691 Milchbauernhöfe in NRW. Insgesamt werden dort jährlich bis zu 800 000 Liter Milch produziert. Doch obwohl Davids überwiegend Weidehaltung praktiziert, benötigt er für seine Kühe Kraftfutter - gut 100 Tonnen jährlich.
Doch seit vergangenem Jahr hat sich der Preis dafür von 17 auf 34 Euro pro 100 Kilo verdoppelt. Auch der benötigte Dieselkraftstoff für die drei Traktoren (25 000 Liter jährlich) ist viel teurer geworden. Hinzu kommen Kosten für Tierarzt und Besamungen der Kühe. Dabei ist die Arbeitsleistung noch gar nicht eingerechnet: Für Heinz Davids und seine Familie beginnt der Arbeitstag kurz nach 5 Uhr mit dem Melken und endet gegen 20 Uhr.