EU will deutsche Exportstärke prüfen
Brüssel/Berlin (dpa) - Die deutsche Wirtschaft ist wieder auf Wachstumskurs, doch Brüssel ist mit der europäischen Konjunkturlokomotive nicht zufrieden. Deutschland muss sich auf eine EU-Untersuchung seiner Exportstärke einstellen.
Die EU-Kommission will im Rahmen der wirtschaftlichen Überwachung der Mitgliedstaaten am Mittwoch eine vertiefte Analyse des Leistungsbilanzüberschusses auf den Weg bringen. Das verlautete am Wochenende aus EU-Kreisen.
Falls die Ungleichgewichte von der Kommission als exzessiv eingestuft werden, kann sie ein Verfahren auf den Weg bringen. In letzter Konsequenz droht ein Bußgeld von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von über 2,6 Billionen Euro (2012) würde eine Milliardenstrafe fällig.
Mitten in die Debatte um den „Exportsünder“ Deutschland kommen ermutigende Zahlen aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Das BIP hat sich im dritten Quartal weiter erhöht. Allerdings dürfte die Wachstumsrate schwächer ausgefallen sein als im zweiten Quartal, heißt es nach dpa-Informationen im Monatsbericht des Ministeriums, der am Montag veröffentlicht wird. Im zweiten Quartal hatte es beim BIP einen Zuwachs von 0,7 Prozent zum Vorquartal gegeben.
„Insgesamt hat sich die konjunkturelle Belebung weiter gefestigt und an Breite gewonnen“, bilanziert das Ministerium. Die Binnennachfrage liefere mehr Wachstumsimpulse als der Export - dank des robusten privaten Konsums und höherer Investitionen der Industrie. Vor diesem Hintergrund bleibe die private Konsumnachfrage „eine verlässliche Stütze der binnenwirtschaftlichen Belebung“, schreiben die Regierungsexperten. Dies kann auch als Antwort auf die Vorwürfe aus dem Ausland verstanden werden.
Kritiker werfen Deutschland vor, mit seinen Handelsüberschüssen und einer schwachen Binnenkonjunktur die Ungleichgewichte in Europa zu verstärken. Das Bundeswirtschaftsministerium weist dies zurück. „Die Kritik an den hohen Leistungsbilanzüberschüssen ist unbegründet, weil diese nicht auf wirtschaftspolitischer Einflussnahme beruhen“, zitierte „Die Welt“ aus einer interne Analyse des Ministeriums, die der Zeitung vorliegt. So sei die Exportstärke nicht Niedrig-Löhnen geschuldet. „Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse sind vielmehr Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie der weltweit hohen Nachfrage nach Gütern "Made in Germany".“
Das Ministerium sieht hingegen auch in den „Defiziten in den Partnerländern“ eine Ursache dafür, dass die deutschen Ausfuhren so stark sind. Dort seien weitere Reformen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig. Eine künstliche Schwächung der deutschen Exportstärke berge hingegen hohe Risiken für die Euro-Zone. Es „könnte die Kreditwürdigkeit Deutschlands — und damit letztlich die Stabilität des Euro-Raums insgesamt — in Frage gestellt werden“.
Die deutschen Exporte hatten im September die Importe um 20,4 Milliarden Euro überstiegen, wie das Statistische Bundesamt meldete. Damit wurde der bisherige Höchstwert vom Juni 2008 übertroffen, damals lag der Handelsbilanzsaldo bei 19,8 Milliarden Euro.
Die jetzt angedachte EU-Untersuchung ist nicht ungewöhnlich - in der zurückliegenden Runde der wirtschaftlichen Überwachung kamen 13 Staaten auf den Prüfstand, darunter Frankreich, Großbritannien oder die Niederlande. Maßgeblich bei den Ungleichgewichten sind eine Reihe von Messwerten, etwa zu Lohnstückkosten, Immobilienpreisen oder zur Arbeitslosigkeit. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso unterstrich unlängst, es sei wünschenswert, dass Deutschland seine Dienstleistungsmärkte vollständig öffne und Lohnsteigerungen gemäß der Produktivität zulasse.
Die Überwachung der Ungleichgewichte wurde nach den Turbulenzen der Euro-Schuldenkrise eingeführt. Im Zuge der Krise hatte sich herausgestellt, dass die Eurostaaten wirtschaftlich immer mehr auseinandergedriftet waren, so hatten Staaten wie Griechenland enorm an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt.
Der europäische Referenzwert für den Leistungsbilanzüberschuss beträgt 6 Prozent der Wirtschaftsleistung - herangezogen wird ein Mittelwert für drei Jahre. Für 2013 nimmt die Kommission für Deutschland einen Jahreswert von 7 Prozent an, auch in den kommenden Jahren soll er über der Schwelle liegen.