Gauck-Rede zur Finanzkrise: "Aus Freiheit ein Freund von Grenzen sein"
Berlin (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck hat sich erstmals umfassend zu den Folgen der Finanzkrise geäußert. Die Deutsche Presse-Agentur dpa dokumentiert Auszüge aus der Rede vor dem Führungstreffen Wirtschaft der „Süddeutschen Zeitung“ am Donnerstag in Berlin:
„Eher selten sind es die Führungskräfte aus Wirtschaft oder Politik, die bekennen: „Ich habe einen Fehler gemacht.“ Ein neuer Umgang mit Fehlern stünde uns gut zu Gesicht. Zu Führung, Größe und Glaubwürdigkeit gehört es, Fehler zu erkennen und zu benennen.“
„Ich sehe Führungskräfte in einer dreifachen Verantwortung: nach innen, nach außen und für ein kooperatives Miteinander in unserer Gesellschaft. Ich kann es auch so ausdrücken: Es geht um die Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens am Markt. Es geht um die Verantwortung für die Akzeptanz des Unternehmens in der Gesellschaft. Und es geht um die Verantwortung für die Regeln, die gelten sollen im Zusammenleben.“
„Freies Unternehmertum braucht also Grenzen. Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet ich, dessen Lebensthema die Überwindung von Grenzen ist, einmal ein Loblied der Grenze anstimmen würde. Auch ich gehörte eine Zeit lang zu jenen, die beim Stichwort Regulierung vor allem glaubten: Weniger ist mehr."
„Warum haben wir uns in den 90er-Jahren den „schlanken Staat“ auf die Fahnen geschrieben? Weil wir hofften, mit weniger Bürokratie das Wachstum zu fördern. Echtes Wachstum, keine Scheinprosperität, keine Maßlosigkeit. Im Bankensektor und an den globalen Finanzmärkten war dies in mancher Hinsicht leider ein Fehler! Die wichtigste Botschaft der Beflaggung hätte dem handlungsfähigen und handlungswilligen Staat gelten müssen! .... Verantwortlich handeln heißt jetzt: aus Freiheit ein Freund von Grenzen zu sein!“
„Soll Leben gelingen, gehören Freiheit und Verantwortung zusammen. Diese Kopplung entsteht nicht von selbst, nicht automatisch. Auch der ehrbare Kaufmann allein kann sie nicht herstellen. Sie muss gesamtgesellschaftlich organisiert, muss idealerweise auch global gestaltet werden. Dazu gehört der Staat, dessen primäre Aufgabe es ist, Regeln zu setzen und durchzusetzen. Dazu gehört eine Gesellschaft, die Regulierung und effektive Aufsicht neu wertschätzen lernt.“
„Vieles ist angestoßen, aber der Wildwuchs im Finanzsektor ist bis heute nicht beseitigt. Grundsätzliche Veränderungen tun weiterhin not. Immerhin teilen Politik und Wirtschaft ein Grundverständnis: Der Finanzsektor muss dringend aufgeräumt werden! Ziel muss es sein, dass einzelne Banken nicht mehr ganze Staaten an den Rand des Abgrunds führen können. ... Ich freue mich auf den Tag, an dem die Banken selbst ein Konzept formulieren, das nicht nur in Fachkreisen debattiert wird, sondern in einen breiten gesellschaftlichen Diskurs mündet.“
„Dass nicht nur Geld und Ressourcen, sondern auch unsere sozialen Werte auf dem globalen Marktplatz zur Disposition stehen, haben noch nicht alle verstanden. Es geht um Menschenwürde, Menschenrechte, um Respekt und das Miteinander der Verschiedenen. Es geht um Demokratie, ihre Bürger und alle denkbaren Formen der Verantwortung. Es geht um die Fundamente unserer Freiheit! Diese Werte dürfen wir nirgendwo abgeben - an keinem Fabriktor der Welt."