Gleiche Versicherungstarife für Mann und Frau
Luxemburg (dpa) - Versicherungen müssen künftig einheitliche Tarife für Frauen und Männer anbieten. Die Beiträge dürfen sich einem EU-Urteil zufolge nicht nach dem Geschlecht richten.
Jetzt könnten die Tarife für alle Versicherten teurer werden, warnt die Branche. Die EU-Kommission und Verbraucherschützer begrüßten das Urteil trotzdem.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am Dienstag in Luxemburg, die bislang übliche Berücksichtigung des Geschlechts als „Risikofaktor“ für Versicherungsbeiträge diskriminiere Frauen und sei deswegen ungültig (Rechtssache C-236/09). Die Richter geben der Branche eine Frist für die Umstellung bis zum 21. Dezember 2012.
Nach EU-Recht müssen Männer und Frauen grundsätzlich gleich behandelt werden, doch bislang gibt es bei Versicherungen Ausnahmeklauseln. So werden Versicherungstarife nach dem statistischen Risiko kalkuliert. Dabei spielt das Geschlecht häufig eine zentrale Rolle. Weil Frauen statistisch gesehen einige Jahre älter als Männer werden, zahlen sie beispielsweise höhere Beiträge für private Rentenversicherungen. Umgekehrt bezahlen Frauen weniger für die Kfz-Versicherung, weil sie weniger Unfälle verursachen.
Laut EU-Kommission erlauben derzeit alle 27 EU-Länder geschlechtsspezifische Tarife. Acht EU-Länder wie die Niederlande und Belgien hätten auf Unisex-Tarife für Autoversicherungen umgestellt. Nach Ansicht der Richter läuft die bei Versicherungen übliche Ausnahmeregel „der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider und ist daher nach Ablauf einer angemessenen Übergangszeit als ungültig anzusehen“.
Tom Koenigs, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte, forderte die Bundesregierung auf, das Diskriminierungsverbot auch praktisch durchzusetzen und dem Parlament die nötigen gesetzlichen Änderungen „möglichst bald, das heißt schon lange vor der vom Gericht vorgesehen Frist von 2012“, vorzulegen.
Ob auch bestehende Altverträge künftig ungültig sind, ließen die Richter offen. Klar ist, dass nach dem Stichtag keine Neuverträge mit Ausnahmeklausel mehr erlaubt sind. „Auch in nächster Zeit sollten Versicherte keine Neuverträge mehr mit dieser Klausel abschließen“, sagte ein Gerichtssprecher. Auch Verbraucherschützer raten, laufende Versicherungen nicht vorzeitig zu kündigen, da für jeden neuen Vertrag Abschlusskosten anfielen und die neuen Tarifstrukturen noch nicht feststünden.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin begrüßte das Urteil, befürchtet allerdings, dass die Tarife für alle teurer werden könnten. Sollte es zu Beitragsanhebungen kommen, müssten die Aufsichtsbehörden genau hinsehen, sagte vzbv-Versicherungsreferent Lars Gatschke der Nachrichtenagentur dpa. Falls höhere Überschüsse anfallen sollten, müssten sie zu 90 Prozent bei den Verbrauchern landen. „Frauen und Männer werden nun nicht mehr in statistische Sippenhaft genommen“, sagte er. Stärkeren Einfluss als das Geschlecht hätten Faktoren wie Lebensgewohnheiten oder ein mögliches Suchtverhalten.
Die Versicherungsbranche reagierte kritisch: Der Europäische Versicherungsverbund CEA sprach von „schlechten Nachrichten für die Versicherten“. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erklärte, im Schnitt würden die Beiträge steigen, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation eingehe. Der Vorstandsvorsitzende der Allianz Deutschland, Markus Rieß, beurteilte Unisex-Tarife als ungerecht.
Der Düsseldorfer Versicherer Ergo, zu dem auch die Deutsche Krankenversicherung (DKV) gehört, verteidigt die Unterscheidung von Frauen und Männern etwa in der privaten Krankenversicherung: „Frauen leben länger und gehen häufiger zum Arzt, verlangen also auch mehr Leistungen“, sagte Sprecherin Sybille Schneider. Deswegen müssten sie auch höhere Beiträge bezahlen. Beim Monatsbeitrag mache dies 30 bis 50 Euro aus.
„Alle Verbraucher müssen gleich behandelt werden“, kommentierte EU-Justizkommissarin Viviane Reding das Urteil. Reding kündigte ein Treffen mit Vertretern großer Versicherungen an, um die Auswirkungen des Urteils zu erörtern, darunter werden wohl Konzerne wie Allianz oder Axa sein.
Das Gericht verwies auf die EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004, die geschlechtsneutrale Prämien schon von 2007 an verlange und eine Überprüfung nach fünf Jahren - also Ende 2012 - vorsehe. Ausnahmen seien nur erlaubt, wenn das Geschlecht ein „bestimmender Risikofaktor“ ist und dies durch versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden kann. Im konkreten Fall hatte ein belgisches Gericht die höchsten EU-Richter um Prüfung der Ausnahmebestimmung gebeten.