IWF sieht schwarz für die Weltwirtschaft
Washington (dpa) - Mit einer eindringlichen Warnung hat die IWF-Chefin Christine Lagarde die Weltgemeinschaft zum Schulterschluss gegen eine drohende globale Wirtschaftskrise aufgerufen.
„Es gibt in der Welt keine Volkswirtschaft, die immun ist gegen die Krise, die sich derzeit nicht nur entfaltet, sondern eskaliert“, sagte die Direktorin des Internationalen Währungsfonds am Donnerstag (Ortszeit) im Washingtoner Außenministerium. Hauptursache der globalen Gefahren seien die Probleme in der Eurozone.
Lagarde verglich die Situation sogar mit den 1930er Jahren, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach. Während der Großen Depression hätten Rückzug, Protektionismus und Isolation die internationale Politik bestimmt. Mit diesen Äußerungen dürfte Lagarde auch auf die erfolglosen Bemühungen bei der Welthandelsorganisation WTO zu einer Liberalisierung des Welthandels anspielen.
Erst am Vortag hatte WTO-Chef Pascal Lamy betont, der Welthandel stehe wegen des Stillstands bei den Doha-Verhandlungen zum Abbau von Handelsschranken am Scheideweg. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise seien Fortschritte bei der Liberalisierung dringender denn je. Protektionismus in vielen Ländern verhindere Wachstum und koste die Weltwirtschaft dadurch jedes Jahr rund 800 Milliarden Dollar (615 Mrd. Euro).
Für die Eurozone soll 2012 Szenarien zufolge ein besonders hartes Jahr werden. Die Ratingagentur Standard & Poor's rechnet wegen stark gestiegener Risiken mit einer schweren Rezession im Euroraum. Vor allem die exportstarken Euroländer Deutschland, die Niederlande, Belgien, Österreich und Finnland soll es treffen, schreibt S&P in einer am Freitag veröffentlichten Studie.
S&P vergleicht die Lage mit 2009, dem schweren Rezessionsjahr nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman 2008. Damals hätten die fünf Länder einen stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung erlitten als beispielsweise Spanien. Wegen der strikten Sparmaßnahmen in der Eurozone erwartet S&P 2012 im Gegensatz zu 2009 keine staatlichen Hilfsprogramme.
Befürchtete Einbrüche im Export könnten auch Arbeitsplätze gefährden. Fast eine Million Stellen allein in Deutschland hängen einer Studie zufolge vom Export in die Euro-Krisenländer Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien ab. Insgesamt trägt der Export 9,6 Millionen Jobs hierzulande - das geht aus einer Untersuchung des Forschungsinstituts Prognos hervor.
„Eine Eskalation der Euro-Schuldenkrise hätte nicht nur für Deutschlands Finanzwirtschaft weitreichende Folgen, sondern über die Exporte auch für die Realwirtschaft“, warnte Prognos-Chef Christian Böllhoff im „Handelsblatt“ (Freitag).
Die Exportwirtschaft erwartet allerdings keine Verschärfung der Krise. „Wir sind nach wie vor vorsichtig optimistisch“, heißt es beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Nach dem Rekordjahr 2011 erwartet der BGA zwar eine Abschwächung des Wachstums, aber immer noch ein durchschnittlich gutes Jahr. Arbeitsplätze seien derzeit nicht in Gefahr.
Lagarde bezeichnete die Aussichten für die Weltkonjunktur als „ziemlich düster“. Es bestehe fast überall auf dem Globus die Gefahr, dass sich das Wachstum verlangsame und die öffentlichen Haushalte ins Schwanken gerieten. Lagarde forderte, die Wirtschaftsprobleme durch Zusammenarbeit in den Griff zu bekommen. „Es ist keine Krise, die durch eine Gruppe von Ländern gelöst wird. Sie wird hoffentlich von allen Ländern gelöst.“
Lagarde hatte bereits in der Vergangenheit mit besonders skeptischen Aussagen auf sich aufmerksam gemacht. So bezifferte der IWF den Kapitalbedarf europäischer Banken, um gegen die Krise gewappnet zu sein, im September auf rund 200 Milliarden Euro - was auf große Kritik stieß. Der Stresstest der europäischen Bankenaufsicht ergab dann in der vergangenen Woche eine Summe von 115 Milliarden Euro, die bis zum Sommer 2012 aufgebracht werden soll.
Erst vor gut zwei Wochen hatte die OECD ihre Prognosen für das Wachstum der Weltwirtschaft im kommenden Jahr nach unten korrigiert und auf große Ungleichgewichte verwiesen. Für die weltweit führenden Volkswirtschaften (G20) erwartet die Organisation 2012 einen Zuwachs von 3,8 Prozent. Dieser Durchschnittswert verberge aber riesige Unterschiede, hatten die Wirtschaftswissenschaftler gemahnt.
Der Lösung der Probleme müsse in Europa starten, sagte Lagarde. „Sie muss im derzeitigen Kern der Krise beginnen, der offensichtlich in den europäischen Staaten liegt und besonders in den Ländern der Eurozone.“ Die Eurozone sei eine „Währungsunion, die nicht richtig in einer ökonomischen und haushaltspolitischen Union vollendet wurde, woran derzeit gearbeitet wird“, sagte die IWF-Chefin mit Blick auf die Beschlüsse des Euro-Gipfels zur Errichtung einer Fiskalunion.
Während die europäischen Regierungschefs ihre „gewaltigen“ Herausforderungen bewältigen, müssten auch die Finanzmärkte mehr Geduld beweisen. In Demokratien fielen wichtige Entscheidungen nicht über Nacht, „die Dinge brauchen Zeit“, sagte Lagarde.