Konjunktur in NRW „NRW-Wirtschaft stagniert - gute Nachricht“
DÜSSELDORF · Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) stellt Konjunkturbericht vor. Sie sieht Zusatzschulden trotz entspannter Lage als gerechtfertigt an.
Mona Neubaur, die grüne NRW-Wirtschaftsministerin, spricht von „Zeiten der Stapelkrisen, in denen wir leben“. Angesichts der vielfältigen Corona-Nachwirkungen, der Energiepreisschübe und auch der Inflation infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine sei es schon eine gute Nachricht, dass der befürchtete wirtschaftliche Einbruch ausgeblieben sei und die Wirtschaft stagniere. „Denn bis vor kurzem hatten sich die Prognosen nur damit beschäftigt, wie tief die Wirtschaft einbricht“, sagt Neubaur. Der von der Ministerin und Wirtschaftsfachleuten am Mittwoch in Düsseldorf vorgestellte Konjunkturbericht des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung bescheinigt in der Tat, dass das Schlimmste verhindert wurde.
Nach dem Bericht wurde die energieintensive Wirtschaft Nordrhein-Westfalens durch die stark ge-stiegenen Energiepreise im Zuge des Lieferstopps von russischem Gas zwar stärker belastet als die deutsche Wirtschaft insgesamt. Aufgrund der kräftigen wirtschaftlichen Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie in der ersten Jahreshälfte dürfte das Bruttoinlandsprodukt in NRW aber dennoch im Jahresdurchschnitt deutlich ausgeweitet worden sein. Das RWI rechnet für das vergangene Jahr mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 2,0 Prozent. Eine Zahl, die leicht über dem in Deutschland insgesamt erreichten Wert von 1,8 Prozent liegt.
Die Konjunkturaussichten hätten sich zu Beginn dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen aufgehellt. So beurteilten viele Unternehmen in einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern die Lage sowie die Aussichten zu Beginn dieses Jahres günstiger als noch im Herbst des vergangenen Jahres. Dennoch blieben auch viele Unternehmer insbesondere angesichts der hohen Energiepreise und des Fachkräftemangels skeptisch, sagte der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammern NRW, Matthias Mainz.
Die gestiegenen Erwartungen im Einzelhandel deuten laut RWI-Konjunkturbericht darauf hin, dass die Schwäche im privaten Konsum allmählich überwunden werde. Wie die Krise um den Kaufhof hier ins Spiel kommt, haben die Experten des RWI in ihrem schon vorher fertiggestellten Report indes nicht berücksichtigen können.
Positiv vermerken sie: „Die Lieferschwierigkeiten bei Materialien und Vorprodukten, die die Produktion einige Zeit gebremst haben, haben an Bedeutung verloren.“ Allerdings sei in anderen Bereichen der Wirtschaft, die besonders unter den hohen Energiepreisen leiden, wie etwa in der chemischen Industrie, zu erwarten, dass die wirtschaftliche Erholung verhaltener ausfalle.
Sind die zusätzlichen Schulden
da noch gerechtfertigt?
Die Aussichten haben sich auch für den Arbeitsmarkt in NRW wieder aufgehellt. Angesichts der sich abzeichnenden konjunkturellen Erholung dürften die Unternehmen ihre Zurückhaltung bei den Neueinstellungen nach und nach aufgeben, glauben die Wirtschaftsexperten. Dementsprechend dürfte die Arbeitslosigkeit wieder sinken. Für 2023 wird aber für NRW immer noch eine Arbeitslosenquote von 7 Prozent vorhergesagt.
Wenn aber nun die Aussichten in Nordrhein-Westfalen gar nicht mehr so arg sind wie noch im Herbst befürchtet - war dann am Ende die Ausrufung der „außergewöhnlichen Notsituation“ gar nicht notwendig? War es dann überhaupt gerechtfertigt, dass der Landtag im November eine Ausnahme von der geltenden Schuldenbremse möglich gemacht hat, um mit fünf Milliarden Euro zusätzlichen Schulden die Folgen der Energiekrise bekämpfen zu können? Kann man dann überhaupt noch von einer Notlage als Bedingung für eine solche Kreditaufnahme sprechen?
RWI-Experte Torsten Schmidt verweist darauf, dass die Feststellung der Notlage ja zu einer Zeit beschlossen wurde, als die Erwartungen an die Entwicklung noch deutlich niedriger waren. „Was sich damals zusammengebraut hat, hat schon Schlimmeres erwarten lassen“, sagt er. „Hinterher ist man immer schlauer.“ Ministerin Neubaur ergänzt: „Die Feststellung basierte auf den Prognosen, die eine Rezession voraussagten. Das war sozusagen Alarmstufe Rot.“ Die aus dem Sondervermögen finanzierten Leistungen seien ein wichtiges Signal an die Unternehmen und die Menschen gewesen.
Bleibt die Frage: Darf man denn nun weiterhin Kredite aus dem vom Land aufgespannten Rettungsschirm vergeben, obwohl doch nun spätestens nach dem Konjunkturbericht gar keine außergewöhnliche Notlage mehr vorhanden ist? „Nach meinem Kenntnisstand ja“, sagt Neubaur dazu nur knapp.
André Stinka, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW, kritisiert die Wirtschaftsministerin: „Wirtschaftliche Stagnation ist weder ein Grund zur Erleichterung, noch ein Signal für einen kommenden Aufschwung. Denn trotz der sinkenden Energiepreise ist die Lage ernst und sind die Einschnitte bei den Unternehmen tiefgreifend.“ Das Land müsse insbesondere auf die Betriebe zugehen und Unterstützung anbieten, die Auslandsverlagerungen als eine mögliche Option immer noch in Erwägung ziehen. Stinka: „Solche Brücken durch die Krise hat die schwarz-grüne Landesregierung bisher aber nicht gebaut.“