Mobilität: Der Kampf um den Eurotunnel
Frankreich will verhindern, dass künftig deutsche ICE unter dem Ärmelkanal rollen. Doch die Deutschen trumpfen auf.
Paris. In der Nacht zum Sonntag muss alles ganz schnell gehen. Gegen 0.45 Uhr wird dann zum ersten Mal ein nahezu voll besetzter ICE 3 der Deutschen Bahn in den 50 Kilometer langen Tunnel unter dem Ärmelkanal rollen.
Die 300 Freiwilligen an Bord sollen kurze Zeit später mit einem Notfallsignal konfrontiert werden. Dann heißt es aussteigen - so schnell wie möglich und ohne Panik.
Wenn der Test gelingt und alle Zuginsassen in vorgeschriebener Zeit den Rettungstunnel erreichen, haben die französische Regierung und der Alstom-Konzern ein Problem. Sie wollen mit aller Macht verhindern, dass künftig auch Züge von Siemens durch den Ärmelkanaltunnel zwischen Frankreich und Großbritannien fahren dürfen. Der französischen Industrie drohen millionenschwere Aufträge für neue Züge verloren zu gehen.
Die deutsche Technik entspreche nicht den für den Tunnel geltenden Sicherheitsbestimmungen, wird argumentiert. "Null und nichtig", sei ein beabsichtigter Großauftrag von Eurostar an Siemens, zeterte zudem Verkehrsstaatssekretär Dominique Bussereau. Eurostar betreibt bislang als einziges Unternehmen die Zugverbindung zwischen dem europäischen Festland und Großbritannien - und nutzt bislang nur Alstom-Züge.
Die Gesellschaft Eurotunnel, die bis ins Jahr 2086 die Betreiberrechte für die Röhren hat, sieht die Situation etwas anders. Ohne es auszusprechen werden der französischen Regierung Protektionismus und industriepolitische Interessen vorgeworfen. Die Sicherheitsbestimmungen stammten aus einer Zeit, in der es Züge wie die von Siemens gar nicht gegeben habe, argumentiert Eurotunnel-Chef Jacques Gounon. "Ich bin überzeugt, dass der ICE die Tests besteht."
Eurotunnel ist dringend auf mehr Verkehr in den zwei befahrbaren Tunnelröhren angewiesen, um die Profitabilität steigern zu können. Bislang beträgt die Auslastung nur etwa 50 Prozent. Sehr gelegen kommt es da, dass die Deutsche Bahn von 2013 an eine regelmäßige Verbindung nach Großbritannien anbieten will, etwa auf der Strecke Köln-Brüssel-London (Fahrzeit rund vier Stunden). "Wir wollen jedem Unternehmen ermöglichen, durch den Tunnel zu fahren, das die Sicherheitsbestimmungen erfüllt", sagt Gounon.
"Die Evakuierungsübung dient dazu zu belegen, dass unser Konzept mit zwei zusammengekoppelten Halbzügen von je 200 Metern Länge genauso sicher ist wie der 400 Meter lange, durchgehend begehbare Eurostar", sagte ein Bahnsprecher. Bei der Bahn sieht man das unabhängig von der Frage, ob Siemens oder Alstom die neuen Eurostar-Züge bauen werden.
Politischen Sprengstoff birgt der Konflikt vor allem deshalb, weil die staatliche französische Bahngesellschaft SNCF Hauptanteilseigner bei Eurostar ist. Das Unternehmen bekam aber eine neue, privatwirtschaftliche Struktur. Eurostar könne jetzt so handeln, wie es für den Konzern am besten sei, merkte der britische Transportminister Philip Hammond kürzlich süffisant an.