Niedersachsen: Enthaltung kein Misstrauen gegenüber VW
Hannover/Wolfsburg (dpa) - Der VW-Großaktionär Niedersachsen sieht in seinen Enthaltungen bei der Entlastung zweier Konzernvorstände aus dem Krisenjahr 2015 kein Misstrauensvotum. „Nein, das ist es nicht“, sagte Wirtschaftsminister Olaf Lies vor der Unterrichtung eines Landtagsausschusses in Hannover über die VW-Hauptversammlung vom Vortag.
Das Land habe sich vielmehr aus Respekt vor den Behörden seiner Stimmen enthalten.
Die Frage, wer im Vorstand wann was über die millionenfache Fälschung von Abgaswerten wusste, wollen einige Aktionärsvertreter mit einer gerichtlich erzwungenen Sonderprüfung zusätzlich klären lassen.
Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft seit kurzem gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess ermittelt, deute auf offene Fragen bei der Aufarbeitung der Affäre hin, sagte Lies. Niedersachsen habe sich daher neutral verhalten wollen. Ähnlich hatte sich das Land in der Nacht erklärt.
„Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet - dafür wird sie ihre Gründe haben“, sagte der SPD-Politiker und VW-Aufsichtsrat. Inhaltlich lägen der rot-grünen Landesregierung keine neuen Informationen vor. „Es gibt aber auch keine Erkenntnisse, die gegen eine Entlastung sprechen - insofern haben wir uns enthalten.“ Lies deutete an, dass eine Verschiebung der Entscheidung eine weitere Option gewesen wäre.
Dafür hatte sich Niedersachsen im Aufsichtsrat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wiederholt stark gemacht, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Entlastungsfrage ist in der Abgas-Affäre ein heißes Eisen, auch wenn selbst eine Nicht-Entlastung für den Vorstand keine direkten juristischen Konsequenzen gehabt hätte. Ein solcher Vorgang wird aber oft als Ausdruck eines Vertrauensmangels gewertet.
Niedersachsen ist mit seinem 20-Prozent-Anteil an Europas größtem Autohersteller der zweitwichtigste Volkswagen-Aktionär. Das Land hatte am Mittwoch beim VW-Anteilseignertreffen dem im Skandal zurückgetretenen Ex-Konzernchef Winterkorn und dem aktuellen VW-Markenchef Diess den sonst üblichen Vertrauensbeweis verweigert.
„Niedersachsen möchte im derzeitigen Verfahrensstand nicht auch nur den geringsten Anschein erwecken, sich in der Frage der laufenden Ermittlungsverfahren zu positionieren“, hatte eine Sprecherin der Landesregierung am Donnerstagmorgen erklärt. „Das ist alleine Sache der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls später der Gerichte.“
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ließ auch nach der Hauptversammlung nicht von ihrer Forderung nach weiteren Untersuchungen ab. Eine „unabhängige Sonderprüfung“ zur Aufarbeitung des Diesel-Skandals sei nach wie vor nötig, betonte DSW-Präsident Ulrich Hocker. „Deshalb werden wir die Sonderprüfung gerichtlich durchsetzen.“ Am Mittwoch in Hannover fand dies keine Unterstützung.
Am Montag war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn und Diess wegen möglicher Marktmanipulation ermittelt. Bei beiden besteht der Anfangsverdacht, die Finanzwelt zu spät über die Dimension und mögliche finanzielle Risiken der Abgaskrise informiert zu haben. Den Ermittlungen vorausgegangen war eine Strafanzeige der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).
Von Winterkorn gibt es bisher keine Reaktion zu den Ermittlungen. Zu Diess hatte der Autobauer am Dienstag mitgeteilt, dass VW Details zu den Vorwürfen nicht bekannt seien. Der Konzern lässt die Affäre und den Umgang mit ihr auch intern untersuchen und hat die US-Kanzlei Jones Day beauftragt. „Aus den bisherigen Ermittlungen ergeben sich keinerlei Hinweise auf Marktmanipulationen. Hierzu gibt es auch eine Stellungnahme des Unternehmens gegenüber der Bafin“, hieß es bei VW.
Winterkorn führte den Weltkonzern rund zehn Jahre, seine Amtszeit reicht damit bis zu den Anfängen der Abgas-Manipulationen. Diess ist erst seit Juli 2015 als VW-Markenchef im Amt, zuvor war er Vorstand bei BMW. Der Abgas-Skandal flog Ende September 2015 auf, Winterkorn trat zurück - er betonte aber, keine eigenen Fehler zu sehen.
Laut Wertpapierhandelsgesetz ist eine Marktmanipulation unter anderem dann gegeben, wenn „unrichtige oder irreführende Angaben“ gemacht oder Umstände verschwiegen werden, die zum Beispiel den Kurs einer Aktie erheblich beeinflussen können. Wird die Öffentlichkeit bewusst nicht informiert, kann ein Verschulden vorliegen. Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe sagte: „Eine Marktmanipulation im Sinne dieser Strafnorm des Wertpapierhandelsgesetzes kann nur vorsätzlich begangen werden.“
Doch dafür gibt es sowohl bei Winterkorn als auch bei Diess bisher nur „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ - womit Juristen meinen, dass zwar kein dringender Tatverdacht bestehe, aber genügend Gründe vorlägen, damit die Sache untersucht werden muss.