Staaten drehen Ölhahn auf
Die Industrieländer werfen 60 Millionen Barrel auf den Markt. Die Rohölpreise gingen sofort auf Talfahrt.
Hamburg. Die Märkte reagierten sofort. Kaum hatte die Internationale Energieagentur (IEA) am Donnerstag verkündet, dass die Industrieländer 60 Millionen Barrel Rohöl aus ihrer strategischen Ölreserve freigeben, da rutschte der Ölpreis kräftig ab. Die Nordsee-Sorte Brent verlor mehr als fünf Dollar und kostet gegenwärtig noch rund 106,61 Dollar pro Barrel (159 Liter). Das ist deutlich weniger als die 126 Dollar, die im April notiert wurden.
Auch in Deutschland wurde das Benzin etwas billiger. Marktführer Aral ermittelte am Freitag in seinem Netz einen Durchschnittspreis von 1,544 Euro für einen Liter Benzin. Das sind 1,3 Cent weniger als am Tag zuvor, wie ein Sprecher in Bochum sagte. Diesel kostete 1,42 Euro und damit gut einen Cent weniger als am Donnerstag.
In der Regel gehört der Freitag nach Erhebungen des ADAC zu den teuersten Tagen an der Zapfsäule, weil die Konzerne vor den Wochenenden die Preise anheben. Bis zum Montag wird es dann wieder billiger. Ein Preisrückgang an einem Freitag ist eher ungewöhnlich.
Damit hat die Aktion, die unter Federführung der IEA steht, ihr Ziel bereits erreicht: Die Weltwirtschaft solle weich landen, sagte IEA-Chef Nobuo Tanaka in Paris. Die Sorge war, dass hohe Ölpreise den Aufschwung abwürgen.
Damit das nicht passiert, zapfte auch Deutschland seine strategische Ölreserve an. Berlin verkauft 4,2 Millionen Barrel Rohöl oder Ölprodukte auf dem freien Markt. Das Öl gelangt nach und nach in den nächsten 30 Tagen auf den Markt. Die jetzt freigegebene Menge ist aber nur ein Bruchteil der deutschen Not-reserven, die 25 Millionen Tonnen Rohöl und Erdölfertigprodukte umfassen. Weltweit lagern 4,1 Milliarden Barrel in den Tanks, 1,6 Milliarden Barrel davon halten Staaten für Notfälle vor. Die Menge gewährleistet, dass die ölimportierenden Länder 146 Tage ohne frische Lieferungen auskommen können.
Die IEA begründete den überraschenden Schritt damit, dass die Ausfälle in Libyen stärker seien als angenommen. Zudem könnte der im Sommer übliche Anstieg der Nachfrage in den Ölraffinerien zu Engpässen führen.
Es ist erst das dritte Mal in der Geschichte der IEA nach 1990 (Irak/Kuwait-Krise) und 2005 (Hurrikan „Katrina“), dass die Mitgliedsländer ihre Ölvorräte geschlossen antasten. Allerdings gelten die 60 Millionen Barrel, die freigegeben worden sind, nur als Tropfen auf den heißen Stein. Bei einem weltweiten Verbrauch von 85 Millionen Barrel pro Tag entsprechen sie 17 Stunden des weltweiten Ölbedarfs, sagte Frank Schallenberger, Ölexperte der Landesbank Baden-Württemberg, dem „Handelsblatt“.