Nach Hiesinger-Abgang Thyssenkrupp: Hiesinger will Vertrag als Vorstandschef auflösen

Essen (dpa) - Der Abgang von Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger kam überraschend - und ging am Freitag eher schnell und geräuschlos über die Bühne.

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Nach dem Rückzug des Top-Managers kommt der Essener Industriekonzern aber nicht zur Ruhe und steuert auf eine ungewisse Zukunft zu. Zumal offen bleibt, wer den Dax-Konzern künftig führen wird. Nicht einmal ein Übergangschef wurde installiert.

Aufsichtsratschef Ulrich Lehner kündigte nach einer Sitzung des Kontrollgremiums am Freitag in Essen zwar entschlossen an, das Unternehmen werde „auf Kurs“ bleiben. Doch aus dem Kreis der Aktionäre werden Forderungen nach einem Radikalumbau lauter. Was die Arbeitnehmer auf den Plan ruft. Die warnen vor einer Zerschlagung, an der Börse wird aber schon auf einen Strategiewechsel gesetzt.

Vor allem der Großaktionär Cevian aus Schweden hatte das Vorgehen Hiesingers immer wieder kritisiert und die Strategie des Managers für gescheitert erklärt. Den Forderungen nach einer Zerschlagung hatte Hiesinger beharrlich Absagen erteilt. Auch Betriebsratschef Wilhelm Segerath warnte eindringlich vor einem Ausverkauf auf Druck von Anteilseignern. Er sehe die Gefahr, dass der Rest des Konzerns von Finanzinvestoren zerschlagen wird.

Ein Nachfolger für den 58-jährigen Konzernchef, der sich am Freitag mit dem Aufsichtsrat über sein Ausscheiden einigte, steht aber noch nicht fest. Der soll nun in einem „strukturierten Prozess“ gefunden werden. Wie lange dieser Prozess dauern könnte, wollte ein Sprecher nicht sagen. Bis dahin soll der mitten im Umbau steckende Ruhrkonzern ohne Vorstandschef bleiben und von den bisherigen Vorständen Guido Kerkhoff, Oliver Burkhard und Donatus Kaufmann geführt werden.

An der Börse legte der Kurs von Thyssenkrupp teils kräftig um mehr als 2 Prozent zu - bis zum Freitagnachmittag lag das Plus immer noch bei gut 1,8 Prozent. Angetrieben von der Hoffnung auf einen Strategiewechsel - und trotz der unklaren Nachfolgesituation. Seit rund zwei Jahren dümpelt die Thyssenkrupp-Aktie zwischen 20 und 27 Euro vor sich hin. Nach dem Einbruch der Stahlpreise konnte sie sich zwar dank der Lösung für das europäische Stahlgeschäft etwas erholen. Aber da es dann kaum voran ging, blieben Anleger vorsichtig.

„Nun besteht die Chance, eine neue Strategie zu entwickeln, den Konzernumbau voranzutreiben und damit den Konzern neu auszurichten. Der Nachfolger sollte daher auch eine neue Perspektive einbringen und nicht an der bestehenden Strategie festhalten“, sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment.

Der Aufsichtsratschef Lehner jedenfalls dankte Hiesinger ausdrücklich für dessen Arbeit und verwies dabei auch auf die in der Satzung der Krupp-Stiftung verankerten Stiftungsgedanken, der den Erhalt des Unternehmens als Einheit vorsieht. Wohl nicht ohne Hintergedanken.

Denn zuvor war über eine mögliche Rolle der Krupp-Stiftung bei der Rücktrittsentscheidung Hiesingers spekuliert worden. Die nahm den Rückzug des Top-Managers nach einer in Essen verbreiteten Stellungnahme mit „großem Bedauern“ zur Kenntnis. Die Stiftung habe Hiesinger auf seinem Weg unterstützt, die Vorschläge des Vorstands begrüßt und sie in den Entscheidungen mitgetragen, erklärte die Kuratoriumsvorsitzende Ursula Gather.

Hiesinger selbst hatte keine Gründe genannt. Er hatte lediglich erklärt, er „gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion im Aufsichtsrat über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen“.

Die Ankündigung Hiesingers kam nur wenige Tage, nachdem der Manager nach langem Tauziehen die Fusion des Stahlgeschäfts mit dem Europa-Geschäft des indischen Konkurrenten Tata unter Dach und Fach gebracht hatte. Im Anschluss hatte Hiesinger noch vor wenigen Tagen angekündigt, eine überarbeitete Strategie vorlegen zu wollen. Die dürfte sich verzögern. Experten gehen davon aus, dass das für nächste Woche vorgesehene strategische Update verschoben wird, bis ein Nachfolger gefunden sei.

Aufsichtsratschef Lehner betonte nach einer Sitzung des Kontrollgremiums, dass die weitere Umsetzung der Stahlfusion mit Tata zu der mit dem Aufsichtsrat abgestimmten Strategie gehöre. „Für die weiteren Geschäftsbereiche bestehen nach außen klar kommunizierte Ziele, an denen das Unternehmen weiter arbeiten wird.“ Für den seit gut sieben Jahren an der Spitze stehenden Konzernchef war die Vereinbarung mit Tata eigentlich ein lange erwarteter Befreiungsschlag gewesen, der den Weg für einen Konzernumbau ebnen sollte.