US-Ökonom: Deutschland wird für andere einstehen müssen
Paris (dpa) - Angesichts der bedrohlichen Schuldenkrise in Europa und den USA fordert der frühere IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff einen Abschied von den strengen Inflationszielen.
„Um den Schuldenabbau zu unterstützen, bräuchte es über mehrere Jahre hinweg eine Inflation von vier oder sechs Prozent“, sagte der derzeit an der Harvard-Universität lehrende Wirtschaftsprofessor der französischen Tageszeitung „Libération“. „Ich weiß, dass ich einen ungezogenen Vorschlag mache, aber wir erreichen einen Punkt, an dem die politischen Entscheidungsträger nur noch in den Giftschrank greifen können.“ Eine moderate Inflation wäre in der derzeitigen Situation eine große Hilfe.
Rogoff spielt darauf an, dass Inflation in der Regel dem Schuldner hilft. Er muss zwar den gleichen Betrag zurückzahlen, das Geld ist aber weniger wert. Steigende Preise können sich zudem in Mehreinnahmen für den Staat niederschlagen - beispielsweise dadurch, dass die Mehrwertsteuer mehr Geld in die Kassen spült. Allerdings gilt zu starke Inflation auch als Risikofaktor für die Konjunktur. Sie verteuert Kredite für Unternehmen und Verbraucher und kann somit Investitionen und den privaten Konsum bremsen. Die EZB hat einen Zielwert von knapp unter zwei Prozent.
Die derzeitige Krise bezeichnete Rogoff als „große Kontraktion“. Ein solches Ereignis gebe es nur alle 75 Jahre. „Ich wäre nicht überrascht, wenn die Märkte weiter abstürzen würden“, sagte der 58-Jährige. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hätten wie die Mehrzahl der Wall-Street-Analysten gedacht, dass man die Rezession einfach aussitzen könne. Dies sei ein großer Fehler gewesen.
„Nun muss man erst einmal zugeben, dass die angehäuften Schulden niemals komplett zurückgezahlt werden können“, forderte Rogoff. „Ich schließe nicht aus, dass einige Länder gezwungen sein werden, die Eurozone zu verlassen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.“ Um den Euro zu erhalten, werde zudem vor allem Deutschland für die Schulden der anderen Mitgliedstaaten einstehen müssen - im schlimmsten Fall auch für Frankreich. Dann könne berechtigterweise auch die Rating-Bestnote „AAA“ in Gefahr sein. Die Herabstufung der USA bezeichnete Rogoff als vollkommen berechtigt.
Zur Rettung der Eurozone ist nach Einschätzung des US-Ökonomen vor allem mehr gemeinsame Politik nötig. „Es braucht einen europäischen Finanzminister und einen europäischen Präsidenten“, sagte Rogoff. Als Gegenleistung für mögliche starke deutschen Hilfen an Länder wie Italien oder Spanien sei vorstellbar, dass akzeptiert werde, dass die Bundesrepublik mehr zu sagen habe als andere. Beispielsweise könne der erste europäische Präsident ein Deutscher sein, sagte Rogoff.