Vergangenheit lastet „bleischwer“ auf ThyssenKrupp
Bochum (dpa) - Der angeschlagene Industriekonzern ThyssenKrupp leidet nach Einschätzung von Vorstandschef Heinrich Hiesinger weiter massiv unter Fehlentwicklungen aus der Vergangenheit.
Bis heute lasteten die misslungenen Investitionen in das Stahlgeschäft in Übersee „bleischwer“ auf dem Konzern, räumte der Manager am Freitag bei der Hauptversammlung in Bochum ein. Trotz Rückschlägen sei der Umbau aber auf einem guten Weg, sagte der Konzernchef.
Nach einem weiteren Verlust von 1,5 Milliarden Euro im zurückliegenden Geschäftsjahr 2012/2013 (30.9.) sollen die Anteilseigner zum zweiten Mal in Folge auf eine Dividende verzichten. „Wir müssen und wir werden ThyssenKrupp wieder zu einem erfolgreichen Unternehmen machen, das kontinuierlich Gewinne erwirtschaftet“, kündigte der Manager an.
Hiesinger verwies etwa auf die auf 5 Milliarden Euro gesenkten Nettoschulden. Zudem habe der Konzern erstmals seit sechs Jahren wieder mehr Geld eingenommen als ausgeben. Im laufenden Jahr will sich ThyssenKrupp nach eigenen Angaben wieder in Richtung eines ausgeglichenen Ergebnisses bewegen.
„Die Lage bei ThyssenKrupp ist nicht sonderlich stabil“, stellte Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fest. Vor allem der gescheiterte Verkauf des Krisen-Stahlwerks in Brasilien hänge wie ein „Damoklesschwert“ über dem Unternehmen.
Der Konzern ist nach fehlgeschlagenen Milliarden-Investitionen in neue Stahlwerke in Übersee und mehreren Kartellskandalen in Schieflage. In den vergangenen drei Geschäftsjahren fielen jeweils Verluste in Milliardenhöhe an. Die Eigenkapitalquote ist bedrohlich gesunken. Zudem muss der Konzern den längst perfekt geglaubten Verkauf seiner Edelstahltochter Inoxum zum Teil rückabwickeln. Auch der angekündigte Verkauf des Stahlwerks in Brasilien gelang nicht.
„Wer nicht nur auf den Jahresfehlbetrag schaut, sondern alle wichtigen operativen Kennzahlen des Unternehmens im Blick hat, der wird feststellen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und messbare Erfolge erzielt haben“, sagte Hiesinger. Die Umsetzung könne jedoch nur in mehreren Schritten erreicht werden und hinterlasse Spuren in den Finanzkennzahlen. Das Unternehmen stecke mitten im größten Konzernumbau seit der Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999.
Für die Zukunft kündigte der Konzernchef einen deutlichen Ausbau des Industriegüter- und Dienstleistungsgeschäfts an. Nur noch weniger als 30 Prozent des Umsatzes entfielen auf die Stahlproduktion, rund 70 Prozent würden schon heute im Geschäft mit Industriegütern und Dienstleistungen erwirtschaftet. Hiesinger bat die Aktionäre um Geduld: „Der Umbau braucht Zeit.“
Dabei intensiviert der Konzern den Kampf gegen Korruption und Kartelle im eigenen Haus. Der Aufsichtsrat beschloss, dafür ein eigenes Vorstandsressort zu schaffen. Die Aufgabe übernimmt der frühere Chefjustiziar des Handelskonzerns Metro, Donatus Kaufmann. ThyssenKrupp war in den vergangenen Jahren in zahlreiche Kartellfälle etwa bei Rolltreppen und Schienen verwickelt. Dafür fielen hohe Strafen an. Derzeit laufen noch Ermittlungen des Bundeskartellamts wegen möglicher Preisabsprachen bei Blechen für die Autoindustrie.
Mit einer zehnprozentigen Kapitalerhöhung hatte sich ThyssenKrupp im vergangenen Jahr etwas Luft verschafft. In der Folge stieg der Anteil des schwedischen Finanzinvestors Cevian auf knapp 11 Prozent, während die Krupp-Stiftung ihre Sperrminorität von gut 25 Prozent verlor. Trotz des frischen Geldes bleibt die Eigenkapitalquote weiter die mit Abstand schwächste aller Industrieunternehmen im Dax.
Um weiteren Spielraum zu erhalten, segneten die Aktionäre nun neue Finanzierungsoptionen ab. Unter anderem kann das Unternehmen eine Kapitalerhöhung um bis zu 25 Prozent durchziehen. Konkrete Pläne gibt es laut Finanzchef Guido Kerkhoff derzeit aber nicht.
Bei der Abstimmung am Freitagabend sprachen die Aktionäre auch Vorstand und Aufsichtsrat mit großer Mehrheit das Vertrauen aus. Für die Entlastung von Vorstandschef Hiesinger stimmten mehr als 92 Prozent. Auch der erneute Verzicht auf eine Dividende sowie die Bestellung von Ex-Telekom-Chef René Obermann in den Aufsichtsrat des Konzerns fanden Zustimmung. Die Personalie hatte vor der Versammlung noch für Kritik gesorgt.