Warum Anleger der Aktie den Rücken kehren

Viele Politiker verteufeln Aktionäre als Spekulanten und Zocker, kritisieren Anlegerschützer.

München. Das Sparbuch steht bei den meisten Menschen in Deutschland höher im Kurs als Aktien — die Aktionärs-Zahl hat den tiefsten Stand seit Jahren erreicht. Schuld sind aus Sicht einer Aktionärsvertreterin auch die Politiker.

„In Deutschland werden Aktionäre von der Politik als Zocker und Spekulanten verteufelt“, sagt die bayerische Landesvorsitzende der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Daniela Bergdolt. Die Rolle von Aktionären als Investoren in die heimische Wirtschaft werde hier anders als in anderen Ländern kaum anerkannt.

Unlängst hatte das Deutsche Aktieninstitut in Frankfurt mitgeteilt, dass die Zahl der Aktionäre in Deutschland im zweiten Halbjahr 2010 auf rund 8,2 Millionen gesunken ist und damit den niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren erreicht hat. „Das war ein verlorenes Jahrzehnt für die Aktie“, sagte Bergdolt. Zu Zeiten des Börsenbooms im Jahr 2001 war die Zahl der Aktionäre und Fonds-Anteilsbesitzer in Deutschland auf fast 13 Millionen geklettert.

Nach extremen Kursverlusten kehrten aber viele Anleger der Börse den Rücken. „Viele haben sich in der Aktien-Blase am Neuen Markt die Finger verbrannt“, sagt Bergdolt. Für Frust habe auch der Flop mit der als Volksaktie bejubelten Telekom-Aktie gesorgt. „Die Telekom ist einer der großen Auslöser der Entwicklung der Aktionärszahlen.“

Bergdolt fordert eine neue Aktienkultur in Deutschland, die den Anleger als wichtigen Teil der Wirtschaft sieht. „Wo sollen die Firmen denn sonst ihr Geld her bekommen?“ Bereits jetzt investierten zunehmend ausländische Investoren in börsennotierte Firmen aus Deutschland. Dieser Trend werde sich fortsetzen.

Mit einem Aktionärsanteil von derzeit 12,6 Prozent an der Gesamtbevölkerung hinkt Deutschland dem Deutschen Aktieninstitut zufolge im internationalen Vergleich klar hinterher. In anderen Ländern sind die Zahlen deutlich höher, wie ältere Daten des Instituts belegen: Niederlande (30 Prozent Aktionäre), Japan (27,7), USA (25,4), Großbritannien (23).

„In Deutschland wurde die Ausbildung einer Aktienkultur praktisch nicht vorangetrieben“, kritisiert Bergdolt. Schon Grundschülern müsse beigebracht werden, wie die Wirtschaft und das Finanzwesen funktionierten. „Es ist erschreckend, wenn die meisten Jugendlichen in Deutschland nicht einmal wissen, was ein Girokonto ist.“